L'autore:
Jón Kalman Stefánsson, geb. 1963, trat mit Lyrik und Romanen hervor. Bevor er Literaturwissenschaft an der Hochschule von Island studierte, hatte er sich in den verschiedensten Berufen umgetan: in der Fischindustrie, als Maurer und für kurze Zeit auch als Polizist.
Acht Jahre unterrichtete er Literatur an einer Schule in Akranes, verfasste Artikel für die Zeitung 'Morgunblaðið' sowie für den nationalen Radiosender. Von 1992 bis 1995 lebte Jón Kalman Stefánsson in Kopenhagen, las, schrieb und zählte Straßenbahnen. Anschließend leitete er bis zum Jahr 2000 die Stadtbücherei von Mosfellsbær bei Reykjavík, dort entstanden auch die Romane 'Verschiedenes über Riesenkiefern und die Zeit'; 'Das Knistern in den Sternen'; 'Sommerlicht, und dann kommt die Nacht'.
2005 hat Stefánsson für 'Sommerlicht, und dann kommt die Nacht' den isländischen Literaturpreis erhalten. "Für die Übersetzung hätte Karl-Ludwig Wetzig aber auch einen Preis verdient." (Harald Peters, 'Welt am Sonntag')
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Frühmorgens
Großvater trinkt in der Küche Kaffee. Großvater toastet Brot. Großmutter schläft noch, meine Schwester auch. Todsicher. Alles ist still. Kein Auto draußen unterwegs, keine Stimme zu hören. Es ist noch so früh am Morgen, dass Großvater vermutlich allein auf der Welt ist, Kaffee im Becher, Toast auf dem Teller, die Brille auf dem Tisch. Da betrete ich die Küche und damit nimmt die Weltbevölkerung beträchtlich zu. Jetzt gibt es Großvater, mich und eine größer werdende Spinne in meinem Bauch.
"Opa, glaubst du, es ist gefährlich, eine Spinne zu verschlucken?"
"Das kommt ganz darauf an", sagt Großvater. "Das muss gründlich bedacht werden. Schmier du mir meine Butterbrote, während ich mal über die Sache nachdenke!" Großvater setzt die Brille auf und denkt nach, während ich ihm die Brote schmiere und sie mit Ziegenkäse belege.
Aus irgendeinem Grund kann Großvater es nicht ausstehen, sich selbst das Pausenbrot für die Arbeit zu machen. Normalerweise erledigt Großmutter das am Vorabend, es sei denn, sie und Großvater sind wegen irgendwas uneins, etwa darüber, was man mit einem Jungen machen soll, der eine Packung Kekse und ein Glas Nussnougatcreme klaut, dann einen ganzen Tag lang verschwindet und erst am Abend wieder auftaucht. Ich belege ihm die Brote, Großvater denkt. Er schenkt sich Kaffee nach und denkt weiter. Hm. Einmal hat er versucht, meine Schwester zu wecken, damit sie ihm die Brote schmiert - manchmal kann er ein unverbesserlicher Optimist sein. Es wäre realistischer und leichter gewesen, einen Toten zum Leben zu erwecken. Großvater denkt nach.
"Hast du tatsächlich eine Spinne in deinem Bauch, Junge?"
Ich schlucke. "Wenn ich eine im Magen hätte, könnte sie dann wachsen und wachsen und größer werden als ich selbst, mich am Ende in Stücke zerreißen und ich würde sterben?"
"Sind die Brote fertig? Gut, dann komm mit mir nach draußen in den Schuppen! Bei so etwas muss man gründlich sein, da taugen keine halben Sachen. Komm und sei leise!"
Im Schuppen. Großvater wühlt in irgendweJchen Sachen herum. Auf einmal hält er eine Flasche Schnaps in der Hand. Er sagt, ich solle mich setzen. Er setzt sich auch. Dann gießt er Schnaps in zwei Gläser, ein kleines Schlückchen für mich, ein etwas größeres für sich.
"Opa, so früh am Morgen schon Schnaps? Du musst doch gleich zur Arbeit!"
"Trink!", kommandiert Großvater. "Aber vorsichtig, als ob es brühheiß wäre."
Ich trinke, ganz vorsichtig. Ein Feuerstrahl schießt durch meinen Mund bis in den Magen. Ich huste, mir steigen Tränen in die Augen.
"Noch mal", sagt Großvater, "und jetzt ein bisschen mehr."
Ich trinke wieder, ein bisschen mehr. Erneut der Feuerstrahl bis in den Bauch und diesmal steigt er auch in den Kopf. Es fühlt sich fast so an, als würde die Schädeldecke abheben.
Großvater: "So, das reicht. Jetzt ist sie hinüber. Hundert Prozent tot."
Ich sitze ihm gegenüber mit einer hundertprozentig toten Spinne im Bauch. Großvater kennt sich mit vielen Dingen aus.
"Opa, du hättest Medizinmann werden sollen oder Soziologe."
Er genehmigt sich noch einen. Strahlend schaut er mich an: "Deiner Großmutter erzählst du kein Sterbenswörtchen davon, sonst gibt es Ärger! Dann sind wir geliefert. Das bleibt zwischen uns."
"Na klar, Opa. Hundert Prozent."
"Ach, verdammt noch mal!", sagt er nach einer Weile.
"Was ist denn?", frage ich.
"Du hättest mich früher mal sehen sollen, Junge! Da hatte ich weder Glatze noch Wampe, zum Teufel! Da konnte mich nichts aufhalten. Vielleicht ist das hier ja alles Blödsinn: Malerpinsel, Garten, Einfamilienhaus. Vielleicht hätte ich doch besser zur See fahren sollen, über die blinkenden und glitzernden Meere. Oh Mann, hier ein Kuss, da eine Umarmung, dort noch ein nettes Baströckchen, ein bequemes Leben, und dann wieder das Meer ... "
"Ich glaube, Oma hätte das nicht gefallen."
"Deiner Großmutter? Nein. Die ist aus Eisen, ein verdammtes Stück Stahl! Kannst du dir deine Oma vorstellen, wie sie in einem Baströckchen herumwackelt? Wie? Da lachst du. Ein verdammtes Stück Stahl. Die Andern aber, die ich früher gekannt habe, die ich bei einem Tänzchen um mich herumgewirbelt habe, ja, mein Junge, die waren weicher. Aus Bambus vielleicht, oder was meinst du? Doch wahrscheinlich Bambus. Du lieber Gott, so voller Leben und weich und schmiegsam! Aber an eines solltest du immer denken: Wenn's mal richtig stürmt, dann kann auch Bambus knicken und sogar weggeweht werden, sein Saft kann auch bitter schmecken, seine Biegsamkeit langweilen. Das ist dann wie in den Sommerferien, wenn man zu lange im Bett bleibt. Aber dieser verdammte Stahl! Tja, mein Junge, irgendwann sollten wir mal bei einer anständigen Flasche zusammensitzen und uns von Mann zu Mann über verschiedene Dinge unterhalten. Vielleicht über Baströcke oder doch besser über Jan Arason und das Meer oder weiß der Teufel was, bloß nicht über die Anstreicherei! Ganz sicher aber über Stahl. Das wäre bestimmt nützlich und es würde uns Spaß machen, dir und mir. Willst du mir das versprechen, einmal mit mir altem Knacker eine ganze Nacht zusammenzusitzen und alles Mögliche zu besprechen? Nur wir zwei, versprichst du mir das?"
"Ja, Opa, das verspreche ich. Und ob ich es verspreche!"
"Gut", sagt Großvater, "sehr gut. Aber jetzt muss ich zur Arbeit und du musst augenblicklich ins Bad und dir die Zähne putzen. Nimm reichlich Zahnpasta, das übertüncht den Schnapsgeruch. Und dann legst du dich noch mal ins Bett, damit deine Oma nichts merkt."
"Opa, das wird toll, einmal eine ganze Nacht mit dir zu verbringen. Nur du und ich und das alles."
Großvater: "Ja, das wird großartig. Etwas Besseres gibt es gar nicht."
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