Recensione:
»Justine Lévy hat einen großen Roman um Liebe, Lust und das Gefühl des Betrogenwerdens geschrieben.« (Gala)
»Spannend, amüsant und voller Hoffnung!« (Bayern 3 Buchredaktion)
»...ein sehr guter, wahrer Roman über eine angstvolle, liebestraurige Frau in unseren Zeiten.« (Die Zeit)
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Ich bin in Jeans zur Beerdigung meiner Großmutter gegangen. Ich dachte nicht, dass sie so schockiert sein würden, ich dachte, niemand würde darauf achten, sie hätte nicht darauf geachtet. Ich dachte an etwas anderes, als ich mich anzog, ich weiß nicht mehr an was, meine Großmutter ist nicht tot, wir werden meine Großmutter nicht beerdigen, ich muss meine Großmutter anrufen, so was.
Jemand hatte nach der Beerdigung eine Art Party organisiert, Party ist nicht der richtige Ausdruck, ich weiß nicht, was der richtige Ausdruck ist, ich habe ein Taxi genommen, ich habe gesagt fahren Sie los, aber wohin? keine Ahnung, Rue du Four vielleicht, ins Büro, und ich bin abgehauen, ich wollte nicht zu dieser Party, Partys habe ich noch nie gemocht, als ich jünger war, mit dreizehn, vierzehn, als ich weder bei Papa noch bei Mama war, wohnte ich bei meiner Großmutter, und sie zwang mich, auszugehen, auf Feten, zu Partys zu gehen, sie borgte mir ihre Kleider. Manche Großmütter zwingen ihre Enkel, zur Schule zu gehen oder ihren Teller leer zu essen, meine Großmutter zwang mich, auf Feten zu gehen.
Ich habe einen Pickel, jammerte ich. Dieser Pickel war für mich der Weltuntergang. Ich kam mir vor, als wäre ich nur noch Pickel, ein riesiger Pickel, welcher Pickel, sagte meine Großmutter ohne mich anzusehen, wo denn? Na hier, auf der Nase, eine zweite Nase auf der Nase! Nicht doch, nicht der Rede wert, überhaupt nicht, das sieht sogar sehr niedlich aus, wir machen ein Schönheitspflästerchen drauf.
Das lehnte ich ab (ein Schönheitspflästerchen auf der Nase, verrückte Idee), sie gewann mit der Fete, sie schminkte mich, verkleidete mich als sie, oder vielleicht als Mama, ich weiß nicht, die Augen mit Kohle, der Mund als Kirsche, Glimmer auf den Wimpern, den Pickel sah man wirklich nicht mehr. Ich war zufrieden, jemand anders zu sein. Ich war nicht sie, nicht ganz, aber ich war jemand anders, und fast gefiel ich mir, aber trotzdem weinte ich im Auto, weil ich mich so schämte und solche Angst hatte, die Schminke würde nicht halten, ich würde sie nicht lange täuschen können, Aschenputtel vor Mitternacht, und dann blöd und dumm und hässlich, und diesmal würden es alle merken. Diesmal, im Taxi, habe ich nicht geweint. Ich gehe nicht zu der Party, habe ich gedacht. Meine Großmutter ist tot, ich hatte die hübscheste Großmutter der Welt, aber sie ist tot, und ich weine nicht.
Mir fällt ein, dass mein Telefon geklingelt hat. Unterdrückte Rufnummer, sicher Adrien, vielleicht auch Mama, Mama, immer irgendwie im falschen Moment, immer so komische Notfälle, sie ist noch mehr von der Rolle als ich. Vielleicht weint wenigstens sie, habe ich mir gesagt. Sie liebte sie so sehr, sie war ihre letzte Verbindung zu Papa, und vielleicht rief Mama mich an, damit wir versuchten, zusammen zu weinen. Aber ich hatte keine Lust darauf, ich hatte auf gar nichts Lust, auf absolut nichts, nur auf eine Zigarette, o ja, aber ich rauchte ja schon eine, sie würde auf jeden Fall eine Nachricht hinterlassen: Minou, Minou, bist du da? Früher, mit Adrien, da haben wir den Anrufbeantworter oft zweistimmig besprochen, jeder ein Wort oder jeder einen Satz, oder denselben Satz gleichzeitig, so glücklich waren wir, zusammen zu sein, glücklich und stolz, zwei glückliche Idioten, stolz auf ihre schöne Liebe, ha, wir werden es ihnen zeigen, ha, sie werden schon sehen, ha, wir hauen ihnen unsere große Liebe vor den Latz, unsere unverschämte, unsere strahlende Liebe, den Körper mit zwei Köpfen, die Seele mit zwei Körpern, oder er kitzelte mich und brachte mich zum Lachen, oder wir erzählten Unsinn, und unsere Väter schimpften mit uns, was soll diese Ansage, ihr seid schließlich keine Kinder mehr, das ist nicht seriös! Doch, es ist seriös, wir lieben uns ganz seriös, wir sind schon lange keine Kinder mehr und wir lieben uns megaseriös.
123, ich höre doch meine Mailbox ab. Mama natürlich, Papa, Gabriel und dann, bei den gespeicherten Nachrichten, eine Nachricht von ihr, von meiner Großmutter, ihre Stimme, die so weit weg ist und die ich kaum erkenne, hallo mein Bébé Lou, für sie war ich immer ihr Bébé Lou, das ist ihre Stimme, hier, an meinem Ohr, sie ist tot, aber das ist ihre Stimme, beruhigend, zärtlich, hallo, hallo, sie hat mich von ihrem kleinen roten Telefon angerufen, sie mochte Rot so sehr, ihr rotes Cabriolet, die rote Matte in ihrem Badezimmer, ihr roter Skianzug, den sie mir lieh, wenn ich was hermachen wollte, das ist ihre Stimme an meinem Ohr, alles ist wie immer, die kurze Pause nach dem Hallo, der ironische Ton bei »mein Bébé Lou«, obwohl sie so schwach war, schon dabei zu sterben, aber trotzdem weine ich nicht. Ich weine nicht, aber irgendwas in mir hat sich bewegt, ein Stich in der Herzgegend, ein Pochen, als wäre ich zu schnell gerannt, ich hätte meine Mailbox nicht abhören sollen, sage ich mir, aber ich weine immer noch nicht.
Den sind wir los, hat sie gesagt, als Adrien mich verlassen hat. Ich war in tausend Stücke zerbrochen, zerstört, und sie sagte einfach, gut so, das war doch kein Mann für dich, das war ein Kasper, ein Hochstapler. Ein Hochstapler? Was stapelt er? Einer, der Leere stapelt, der mit den Armen fuchtelt, der Wind macht, so was, verstehst du, das hat meine Großmutter gesagt, als mich der Hochstapler verlassen hat. Auf dem Friedhof bin ich auch zerstört, zu zerbrochen, um zu weinen, ohne Reaktion, ohne Seele, und in Jeans, meine Großmutter liebte Jeans, sie fand, darin hätte man einen hübschen Hintern, sie trug immer welche, sie fand, dass sie mit eleganten Schuhen sogar sehr schick aussehen konnten. Ich trage ziemlich hässliche Schuhe, deswegen bin ich nicht besonders schick, aber was soll’s, sie ist ja doch nicht mehr da, um mir mit ihrer fröhlichen, so strahlenden Stimme zu sagen: Louise, wie schick du bist!
Ganz anders Adrien, der stürzt sich geradezu auf mich, hüpft wie eine Springbohne aus der kompakten, schniefenden Menge, nachdem wir uns seit, was denn, seit sechs Monaten nicht gesehen hatten, sich diesen Moment auszusuchen, diesen Ort, er hätte mich warnen können, er hätte wegbleiben können, er weiß ganz genau, dass ich Überraschungen hasse. Aber ich bin sowieso viel zu betäubt, um überrascht zu sein, er stürzt sich auf mich, die Augen rot, das Gesicht verzerrt, verkrampft, bleich, mit einer komischen Bewegung des Kinns, wie ein Tick oder ein Schluckauf, er sagt mein Baby mein Liebling mein kleiner Bär, weint auf mich herunter, ringt die Hände, seine ziemlich kurzen Hände, sieh an, ganz blau an den Gelenken, die Hände eines anderen. Er trägt eine dicke, protzige Uhr, wie sie die Wichtigen tragen und die Leute, über die wir uns lustig machten, früher, zusammen, als wir uns liebten und wie siamesische Zwillinge waren, die sich nicht mal erklären müssen, warum sie sich so über die anderen lustig machen, er trägt eine teure Uhr, die sagt, ich habe viel Geld und nicht viel Zeit, aber trotzdem bin ich zur Beisetzung deiner Großmutter gekommen, siehst du.
Er scheint sehr zufrieden mit seiner Uhr, zufrieden, hier zu sein, und vor allem zufrieden zu weinen, zufrieden, allen zu zeigen, dass er da ist und dass er weint. Vielleicht hat er seine neue Kinnbewegung morgens vor dem Spiegel geübt. Vielleicht hat er sie bei Paula ausprobiert, der neuen Frau seines Lebens. Hochstaplertraurigkeit, sage ich mir, wie meine Großmutter gesagt hätte, während ich ihn mich umarmen lasse. Und dann, als er sich löst (ich habe seine Umarmung nicht erwidert, ich habe die Arme rechts und links neben seiner Jacke runterhängen lassen, geht das mit der Jacke? hat er Paula wahrscheinlich gefragt, ehe er losgegangen ist), ist mein Hals ganz nass von seinen Tränen, igitt. Er sieht mich an, aufsteigender und absteigender Blick, Mischung aus Ungläubigkeit und Vorwurf: natürlich, meine Jeans.
Ich bin an diesem Tag nicht traurig. Meine Großmutter ist tot, aber ich bin innerlich so geschwollen, so verzweifelt, so zerstört, dass ich nicht traurig bin, und ich weine nicht. Um mich herum ein Haufen Leute, die ich nicht kenne, dicht gedrängt und in Tränen aufgelöst, Leute, die zu wissen scheinen, warum sie hier sind und warum sie traurig sind, Leute, die von weit her kommen müssen, aus Marseille, Madrid, Tel Aviv, New York, sie sind ihre Familie, meine Familie, sie haben sie geliebt, wahrscheinlich lieben sie mich auch, mein Beileid, tiefste Anteilnahme, wenn ich etwas tun kann, sie war so außergewöhnlich, haben Sie keine Scheu. Und mein Vater, die Traurigkeit meines Vaters, ich hatte meinen Vater noch nie so traurig gesehen, ich hatte nie begriffen, dass mein Vater auch ein Sohn war, aber wie macht er das, zu weinen? Merkt er, dass seine Tochter neben ihm nicht weint? Oder weint er zu sehr, um zu merken, dass ich nicht weinen kann? Sie weinen alle. Und sie kommen alle zu mir. Und sie sagen mir nette oder unbeholfene oder liebevolle Worte. Und ich denke, seid still, seid endlich still, ich weine nicht, warum weint ihr, und ich halte hartnäckig den Kopf gesenkt, ich zeichne mit der Spitze meines Turnschuhs Figuren in den Sand, Kreise, Herzen, Vierecke, ich fühle mich einfach schuldig, hier zu sein und nicht zu weinen, schuldig, Jeans anzuhaben, schuldig, weil mich ein Kasper sitzen gelassen hat und weil ich lebe und Jeans anhabe und nicht weine.
Ich denke tot tot tot, sie ist tot entschlafen verschieden krepiert tot tot tot, und bei mir rührt sich nichts. Scheißleben. Ein dreckiger Liebeskummer, und hop! wird man zu einer Göre mit vertrocknetem Herz, die böse auf die netten Leute sieht und die’s nicht mal fertig bringt, bei der Beerdigung ihrer Großmutter zu weinen.
Normalerweise weine ich ganz leicht. Ich weine wegen jeder Kleinigkeit. Wenn ich hinfalle, wenn ich Zahnschmerzen habe, wenn man mich schubst, wenn ich Angst habe, wenn ich müde bin, wenn ich will, dass man mich in Ruhe lässt, übrigens hätte ich jetzt auch gern, dass man mich in Ruhe lässt und dass mein Handy aufhört zu klingeln. Sie fragen sich wohl, was ich mache. Hat niemand sie nach dem Friedhof gesehen? Sie war so traurig, die arme k...
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