L'autore:
John Ringo, 1963 in Florida geboren, war Spezialist bei der Army, Meeresbiologe und ist Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane sowie der weltweit erfolgreichen Military-SF-Serien „Die Nanokriege“ und „Invasion“.
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Dienstag, 12. Oktober 2054 Chicago/USA - Sol III
Die dunkle Gestalt, die sich gerade über den Gebäuderand in die Tiefe fallen ließ, hätte einem Himmit Unterricht in Tarnung erteilen können. Na ja, beinahe. Tatsächlich hatten ihr eng anliegender Overall und die Sturmhaube hinsichtlich ihrer Tarneigenschaften eine ganze Menge den Himmit zu verdanken. Das Kletterseil, an dem sie sich abseilte, war konventionellerer Natur, das Gleiche galt für ihre Multivisions-Brille. Ein scharf blickender Beobachter - falls jemand sie denn beobachtet hätte - hätte festgestellt, dass das wertvollere Gerät alt und das billigere Gerät neu war, was darauf hindeutete, dass die Agentin oder ihr Auftraggeber schon bessere Tage erlebt hatten.
Sie machte im dreizehnten Stockwerk am vierten Fenster vom nördlichen Ende Halt. Das Werkzeug, das sie aus einem Futteral an ihrer Montur zog, ähnelte einem monomolekularen Teppichmesser. Mit fließenden Bewegungen, die über die Schwierigkeit der Aufgabe hinwegtäuschten, hakte sie an dem Seil über sich eine Leine ein, sicherte die beiden Saugnäpfe des komplizierten Geräts geschickt an der Fensterscheibe, fixierte sie und schnitt ein weites Oval aus dem dicken Glas. Sie zog das ausgeschnittene Stück Glas weg und ließ es am Seilende baumeln, schwang beide Beine durch die Öffnung und glitt ins Innere des Raums.
Der Raum, in dem sie sich jetzt befand, war verstaubt und seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden, und sie hätte sich nicht hineingewagt, wäre da nicht der fadenscheinige Teppich gewesen - der sich perfekt dazu eignete, Fußabdrücke zu verbergen, die sonst offenkundig gewesen wären. Die mit Teppich verkleideten Wände der einzelnen Kabuffs zeigten jetzt ein fleckiges, mottenzerfressenes Grau, und gelegentlich zeichnete sich eine verrostete Schraube durch das Material ab. Die ebenfalls staubigen, im Zerfall begriffenen Pressspangebilde, die früher einmal niedrigen Firmenchargen als »Schreibtische« gedient hatten, ließen erkennen, dass der Raum Teil der in den Nachkriegsjahren reichlich vorhandenen überschüssigen Büroflächen war. Dieses Phänomen machte die mittleren Stockwerke von Hochhäusern in den meisten Großstädten für Leute ihres Berufs äußerst geeignet, wenn sie auch in ihr trotz ihrer Schäbigkeit gewisse wehmütige Sehnsüchte nach einer Welt wach werden ließen, die sie nie richtig kennengelernt hatte. Aber wie auch immer, in dem Raum herrschte gespenstische Stille, wenn man von dem gedämpften Verkehrslärm absah, der durch das Loch in der Fensterscheibe hereindrang, und der war unheimlich genug, dass sie froh war, ihn hinter sich lassen zu können. Sie war sorgfältig darauf bedacht, so wenig wie möglich zu berühren, während sie sich aus ihrer Montur schälte und dann anfing, darin nach dem Werkzeug zu wühlen, das sie für die nächste Phase ihres Einsatzes benötigte.
Der Tarnanzug war unauffällig und ein technisches Wunderwerk, was man von dem kleinen schwarzen Kleid, das sie aus ihrem Rucksack zog, in keiner Weise behaupten konnte. Das einzig Moderne daran war die sehr leichte Anti-Falten-Beschichtung, die es möglich machte, dass der minimalistische Seidenbody mit dem unter den Hüften aufgebauschten Rock so perfekt aussah, als wäre das Outfit gerade gebügelt worden, aber das Kleid war eng, und sie hatte einige Mühe, sich hineinzuzwängen und ihren üppigen Busen auf maximale Wirkung zu positionieren. Sie blickte finster an sich herab, verzog den Mund ein wenig wegen der überreichlichen Gaben, mit denen sie bei der Bane-Sidhe-Trennung ausgestattet war, als sie die »Platte« verloren hatten.
Ihre Arbeitgeber hatten sich hartnäckig geweigert, einen chirurgischen Eingriff daran vornehmen zu lassen, und sie darauf hingewiesen, dass das völlig zwecklos sei, weil ihr Busen schließlich Teil des Festplattencodes ihrer Körpernanniten war und daher binnen eines Moments wieder nachwachsen würde. Außerdem waren die Ärzte nicht bereit, ihr die Narben einer so primitiven chirurgischen Behandlung anzutun, die dabei zweifellos zurückbleiben würden. Sie rümpfte noch einmal stumm die Nase, während sie ihr silberblondes Haar im Nacken zu einem Knoten zusammenband und ihm einen Spritzer altmodischen Haarsprays verpasste. Dann streifte sie sich eine vergoldete Armbanduhr mit imitierten Diamanten über das Handgelenk, die ungewöhnlicherweise eine analoge und nicht etwa digitale Anzeige hatte. Verdammt, ich muss mich beeilen, höchstens noch eine Minute, bis die Wache wieder in dieses Stockwerk kommt.
In den letzten paar Jahren hatte sich die Einstellung zum Thema Verjüngung geändert; was anfänglich eher ein Symbol gesellschaftlicher Schande gewesen war, war inzwischen eher ein Luxussymbol der Schönen und Reichen geworden. Und deshalb war jegliches Make-up, das über das Allernotwendigste hinausging, nicht mehr in Mode. Die Wahrscheinlichkeit, dass man sie für eine echte Zwanzigjährige hielt, war daher recht groß. Was man auf dem Schwarzmarkt bekam, war meist mangelhaft, es fehlten zumindest individuelle Feinheiten, die es brauchte, um die volle Wirkung zu entfalten. Diese Art von Behandlung hinterließ in der Regel subtile Spuren, die von Klatschmäulern leicht entdeckt und gerne kommentiert wurden. Ihre in besseren Zeiten vorgenommene Verjüngung war perfekt. Eine winzige Spur Lipgloss und dazu ein Paar durchsichtiger Gal-Plas-Sandalen mit Stilettoabsätzen, die wie geschliffenes Kristall aussahen und sich wie mittelalterliche Folterinstrumente anfühlten, und sie war einsatzbereit. Nun ja, beinahe. Sie stopfte sich ein kleines eiförmiges Gebilde mit einem Abzugsring in den Ausschnitt. Der Körper, den ihre eigene DNA ursprünglich erzeugt hatte, hätte sich nie dafür geeignet, das Ding zu verstecken. Ich schwör's, ich könnte dort einen ganzen Lkw verstecken. Du liebe Güte. Nicht, dass ich wirklich in einer Menschenmenge untertauchen müsste oder so, und nicht, dass es für eine Auftragskillerin nicht hammergefährlich wäre, mit diesem Aussehen alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und Gott sei Dank war meine »echte« Arbeit, seit ich wieder zu arbeiten angefangen habe, leicht genug, dass sie mich oft genug auf alberne Einsätze schicken können.
Etwas zog zweimal heftig an der Leine, und das Päckchen entschwand - das Ganze war jetzt Harrisons Problem. Als sie das ovale Stück Glas wieder in die Scheibe eingepasst hatte, holte sie eine Art Kugelschreiber aus ihrer Abendtasche. Aus dem Stift schob sich ein dünner Faden Klebstoff auf Silikonbasis, worauf sich rings um das ausgeschnittene Stück Nanniten verteilten. Das Fenster würde in etwa einem Tag wieder geheilt sein, und dann würde es einer überaus komplizierten forensischen Analyse bedürfen, um feststellen zu können, dass da je ein Schaden aufgetreten war. Nun gut, sie hatte den Stift einmal schütteln müssen, und dabei war ein etwas größerer Tropfen Klebstoff ausgetreten. Das verdammte Ding war beinahe leer. Trotzdem, es hinterließ wirklich kaum Spuren.
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