L'autore:
Boris Koch, Jahrgang 1973, wuchs auf dem Land südlich von Augsburg auf, studierte Alte Geschichte und Neuere Deutsche Literatur in München und lebt heute als freier Autor in Berlin. Er ist Mitveranstalter der phantastischen Lesereihe "Das StirnhirnhinterZimmer". Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören „Der Drachenflüsterer“, die Fantasy-Parodie "Die Anderen" und der mit dem Hansjörg-Martin-Preis ausgezeichnete Jugendkrimi "Feuer im Blut". Sein realistischer Jugendroman "Vier Beutel Asche" wurde von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur als Jugendbuch des Monats April 2013 ausgezeichnet.
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Niederbachingen, August 1986
Der Grashpfer sprang davon, bevor er Feuer fing. Alex hatte es ja gleich gesagt, doch Jochen und Franz hatten ihm die Brille abgenommen und versucht, die Sonnenstrahlen mit dem dickeren, linken Glas so zu bndeln, dass Flammen entstanden. Im Fernsehen lien sich so Lagerfeuer entznden, zumindest Heu oder Stroh. Doch der Grashpfer hatte nicht einmal zu rauchen begonnen.
"Nimm den braunen Hpfer da drben, der ist bestimmt trockener als der grne von eben", schlug Jochen vor.
Im Kreis knieten sie sich um das Insekt. Alex kniff die kurzsichtigen Augen zusammen, um besser zu sehen. Das Gras kitzelte an seinen nackten Beinen, die blon Fuohlen waren dunkel vor Erde. Ganz langsam, um das Tier nicht zu erschrecken, beugte er sich vor. Die Sonne brannte auf seinen Nacken und die Schultern herab, und er sprte, wie ihm der Schweiaus den Poren trat.
Nach dem Mittagessen hatte seine Mutter ihn trotz aller Proteste mit Sonnencreme eingerieben. Mit Lichtschutzfaktor zwlf! Sonst nahm er hchstens vier, wenn berhaupt, das fand er mlicher. Old Shatterhand und Huck Finn hatten schlieich gar keine Sonnencreme benutzt; Helden hatten sowieso immer sonnengebrte und wettergegerbte Gesichter. So ein bisschen Sonnenbrand tat doch nicht weh. Aurdem gefiel es ihm, wenn sich die Haut sche - dann versuchte er immer, mit Zeigefinger und Daumen ein mglichst gros Stck abzuziehen, ohne dass es zerriss. Die verbrannte Haut war ganz weiund so faszinierend dnn. Vielleicht hatte seine Mutter beim Eincremen ja eine Stelle bersehen, dachte er hoffnungsvoll.
Keiner der drei Jungen sprach ein Wort, sie atmeten sogar kaum, um den Grashpfer blonicht zu vertreiben. Franz' ausgestreckte Hand mit den dicken Fingern und den abgekauten Fingernln zitterte nicht, und das helle Licht spiegelte sich in den ungeputzten Glrn.
Alex konnte nicht genau erkennen, ob die Sonnenstrahlen wirklich exakt auf dem Grashpfer gebndelt wurden, aber er war sicher, dass Franz genau darauf achtete. Der krige Junge mit den kurzen blonden Haaren, den stig zerkratzten Beinen und der gron Nase fixierte das Insekt so konzentriert, als knne er es allein mit seinem Blick entznden. Sein Mund stand leicht offen, die Zungenspitze zeigte sich im linken Mundwinkel.
Sekunden verrannen, in der Ferne tuckerte ein Traktor, um sie herum zirpten Grillen und brummten Kr. Eine Bremse setzte sich auf Alex' Schulter, und er versuchte, sie lautlos wegzuwnschen; bewegen durfte er sich jetzt nicht.
Der Grashpfer sprang mit einem weiten Satz zwischen Franz und Jochen hindurch und davon. Sofort schlug Alex die Bremse tot; deren Stiche brannten hllisch. Hoffentlich hatte er sie noch rechtzeitig erwischt.
"Dem ist sicher zu heigeworden", sagte Franz, und Jochen nickte.
"Wahrscheinlich hat er die Flammen schon zngeln gesprt. Wir mssten die Viecher irgendwie anketten", grinste er, und seine unruhigen braunen Augen huschten hin und her. Er war schmtig und sein Krper voller Leberflecken, die wirren dunklen Haare fielen ihm tief in Stirn und Nacken. Zwischen den oberen Schneidezen zeigte sich eine breite Lcke, durch die er oft die Melodien verschiedener Fernsehserien pfiff, allerdings nur selten erkennbar. Grinsend fragte er Alex: "Meinst du, Grashpfer knnen Sonnenbrand kriegen? Dann ist der heute Abend krebsrot und kann als Glhwrmchen arbeiten!"
Lachend erhoben sie sich, und Alex schttelte den Kopf. "Die kriegen keinen Sonnenbrand, die haben doch gar keine Haut."
"Aber lustig ws", sagte Jochen.
Alle drei hatten ihre T-Shirts ausgezogen und in den Bund der Turnhosen gestopft. 33 Grad im Schatten, und die Sommerferien hatten gerade erst begonnen. Fnfeinhalb Wochen Freiheit lagen noch vor ihnen, bevor sich ihre schulischen Wege trennen wrden. Alex wrde ab September auf das fnfzehn Kilometer entfernte Gymnasium gehen, Jochen und Franz - wie die meisten aus ihrer Klasse - zunst weiter auf die Schule im benachbarten Oberbachingen. Teilhauptschule bis zur sechsten Klasse. Doch andere Schule hin oder her, ihre Freundschaft wrde bleiben, das hatten sie sich geschworen. Schlieich hatte es sie bislang auch nicht gestrt, was Alex' Eltern von Jochens hielten und umgekehrt.
"Lasst uns zum Goldbach gehen", schlug Franz vor und gab Alex die Brille zurck. "Es klappt einfach nicht."
"Ich he gern einen brennenden Grashpfer rumspringen sehen. Wenn der so voll ber die Wiese vom alten Storck fegt und alles anzndet, stell dir das mal vor! Voll geil!" Jochen lachte. Er lachte stets, wenn es um Feuer ging, er liebte Flammen und trug immer mindestens ein Feuerzeug mit sich herum, meist zwei oder drei in unterschiedlichen Grn und Farben. Manchmal fantasierte er sich Dinge zusammen und vergadabei Kleinigkeiten wie die, dass auch sie sich gerade auf Storcks Wiese aufhielten und beim Abfackeln selbst gerstet wrden. So etwas fiel Alex dagegen immer zuerst auf, aber er hielt die Klappe und lachte mit. Auch ihm war der alte Storck unheimlich, ein bulliger Griesgram mit wulstiger Unterlippe, der zur Antwort nur knurrte, wenn man ihn auf der Stra gre. Kinder scheuchte er wie Tiere herum. Trotzdem spielten sie oft auf seinen Feldern; sie durften sich eben nicht erwischen lassen.
"Hey! Lasst uns versuchen, Fische anzuznden!", rief Jochen. "Stellt euch das mal vor, wenn Fische brennen knnten und so im Goldbach rumschwimmen wrden! Dann brhte man nachts auf der Hauptstra gar keine Stranlampen mehr."
"Idiot!" Franz grinste.
Aber Jochen lachte nur und ging voran - auf den Aunseiten der Fuohle, denn seit der WM versuchte er, den Gang des o-beinigen Dribblers Pierre Littbarski zu imitieren.
Sie folgten dem schnurgeraden Lauf des ausgetrockneten erlaufgrabens, vorbei an der verwitterten Messlatte fr Hochwasser und der Kuhweide vom Hintermayr aus dem oberen Dorf bis hin zum Goldbach. Als sie sich seiner Biegung vor der alten Mhle nrten, sahen sie ein Mhen am Ufer kauern, dort, wo der Bach bei Hochwasser in den erlaufgraben schwappte. Das andere Ufer war mit Ben und dichten Bschen bewachsen, welche die Mhle und die nsten Her verdeckten.
"Ist das die dumme Luzzi?" Jochen verzog angewidert das Gesicht, und Franz schlug ihm mit der flachen Hand auf den Rcken.
"Du bist ja blinder als unsre Brillenschlange! Das ist die Simone."
Jochen hustete, und Alex liedie Brillenschlange ber sich ergehen und fasste das Mhen fest ins Auge.
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