L'autore:
Markus Reiter ist Kommunikationstrainer, Journalist und Medienberater. Mit seinem Büro "Klardeutsch" in Stuttgart unterstützt er Zeitungen, Zeitschriften und Internet-Redaktionen beim Medienwandel.
Reiter hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Geschichte an den Universitäten Bamberg, Edinburgh und der FU Berlin mit dem Abschluss Diplom-Politologe studiert. Nach Tageszeitungs-Volontariat war er freier Mitarbeiter u. a. für das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt, die Neue Zeit und die Berliner Morgenpost. Dann PR-Berater für Politik in europäischen Projekten. 1997 bis 2000 zunächst Reporter, dann stellvertretender Chefredakteur von Reader's Digest Deutschland. 2000 bis 2002 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Von Januar 2003 bis September 2006 war Reiter Chefredakteur und Mitglied der Geschäftsleitung einer süddeutschen Kommunikationsagentur.
Markus Reiter ist Dozent in der Aus- und Weiterbildung an mehreren Journalisten-Akademien, darunter der Akademie der Bayerischen Presse, der ARD-ZDF-Medienakademie und der Akademie des Deutschen Buchhandels. Er hat zahlreiche Bücher und Artikel zum Thema Sprache, Kommunikation und Medien veröffentlicht. Reiter lebt in Stuttgart und Berlin.
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Eines möchte ich meinem Buch direkt voranstellen: Ich bin nicht gegen das Internet. Ganz im Gegenteil: Ich liebe das Internet, und ich kann mir nur schwer vorstellen, länger als ein paar Tage darauf verzichten zu müssen.
Was mich allerdings beunruhigt, ist die nahezu heilsgeschichtliche Erwartung, die einige Internet-Enthusiasten auf das Netz projizieren. Man kann fast von einer Internet-Religion sprechen. Ihre Anhänger glauben, das Netz werde die Kultur bereichern, die Demokratie erneuern, den Journalismus revolutionieren, die Literatur verbessern, jedem Menschen Zugang zu Bildung und Wissen ermöglichen und eine neue Ökonomie schaffen, in der fast alles verschenkt wird, vor allem wenn es sich um geistiges Eigentum handelt.
Den Anhängern dieser Internet-Religion widerspreche ich auf den folgenden Seiten. Ich werde darlegen
· warum die Kostenlos-Mentalität des Internets und der laxe Umgang mit dem Urheberrecht im Netz Kunst, Kultur und die Kreativwirtschaft auf Dauer austrocknen,
· wie die vermeintliche Anonymität im Internet die kulturell gewachsenen Formen unseres zivilisierten Umgangs miteinander erodieren,
· warum wir den guten alten Journalismus bewahren müssen, wenn wir auf eine funktionierende Demokratie und Gesellschaft Wert legen,
· warum das Internet die Demokratie nicht verbessert, sondern sie neuen Gefahren aussetzt,
· warum das Internet die Grundlagen unserer Bildung angreift und wir deshalb ein neues Verständnis von Bildung und Aufklärung brauchen.
Wenn im Untertitel dieses Buches von der Gefährdung unserer Kultur die Rede ist, dann möchte ich dies nicht auf ein verengtes Verständnis von Hochkultur, also Literatur, Musik, Theater und so weiter, verstanden wissen. Ich untersuche vielmehr, wie das Internet unsere von uns gestaltete gesellschaftliche Umwelt beeinflusst. Kultur meint hier abendländische Kultur, in anderen Worten: Zivilisation, also die Art und Weise, wie wir in unserer Gesellschaft miteinander umgehen, wie wir uns informieren und wie wir die Quellen unserer geistigen Schöpfungen schützen. Ich versuche meine Ausführungen durch Begegnungen mit Menschen zu illustrieren, die für die eine oder andere Position zum Internet stehen. Journalisten, Blogger und Schüler als Angehörige der Generation Internet habe ich im Zuge der Recherchen getroffen. Die Interviews mit ihnen sind in diesem Buch grafisch hervorgehoben.
Vermutlich werden Sie feststellen, dass sich einige Argumente wiederholen. Das liegt daran, dass mir das gleiche Argument in verschiedenen Zusammenhängen überzeugend erschien. Die Leser, die in diesem Buch nur einzelne Kapitel lesen, wollte ich nicht hin und her verweisen. Im Übrigen dient ein gewisses Maß an Redundanz der Klarheit der Botschaft. Mir ist klar, dass dieses Buch Widerspruch hervorrufen wird. Das ist gut. Noch besser allerdings wäre es, wenn ich dadurch zum Nachdenken anregen könnte. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Denn für die, die sich dem Internet als neuer Religion verschrieben haben, gleicht ein Angriff darauf einem Aufruf zum Heiligen Krieg. Glaubensgewissheiten lassen sich durch Argumente nur schwer erschüttern. Lieber versuchen die Gläubigen, die Widersprüche wegzuinterpretieren. Bei meinen Recherchen fiel mir besonders auf, dass die Internet-Apologeten, die Alpha-Blogger der Republik und die vielen anonymen Kommentatoren in den Blogs und Internetforen, täglich die Argumente und Überzeugungen anderer Menschen in oft rüpelhaftem Ton kritisieren. Auf Kritik an ihren eigenen Positionen reagieren sie allerdings mimosenhaft. Ein besonders krakeelender Ober-Blogger soll sogar mit Klage gedroht haben, als minder prominente Schreiber Formulierungen des Ober-Bloggers aufspießten, die nach dessen Selbstauskunft angeblich nie gemacht worden seien. Für Narzissten, so können Psychologen bestätigen, gibt es kein passenderes Medium als das Internet. Den fundamentalistischen Anhängern einer Religion fällt es schwer, andere Glaubensauffassungen neben sich zu dulden. Wo es nur eine Wahrheit gibt, in diesem Falle die Wahrheit des Internets, wird Kritik daran zur Blasphemie.
Wir haben es in der Diskussion um das Internet mit einem Machtkampf zu tun. Die Vertreter der traditionellen Medien wollen ihren Einfluss behalten. Die Vertreter des neuen Mediums wollen selbst in die Machtpositionen vorstoßen. Also ringen beide Seiten um die Definitionshoheit. Das ist wichtig zu wissen, um den Feuereifer zu verstehen, mit denen die Missionare des Internets ihre Glaubenssätze verteidigen. Man sollte diesen Machtkampf im Hinterkopf behalten, wenn man das Pathos einordnen will, mit dem das Internet als neue Kulturtechnik überhöht wird. In einem »Internet-Manifest«, das 15 Ober-Missionare des Netz-Glaubens im September 2009 veröffentlicht haben, finden sich Sätze wie »Die Freiheit des Internets ist unantastbar« und »Das Internet ist der Sieg der Information«. Wer so spricht, macht sich selbst zum Bannerträger einer neuen Zeit. Wer sich hingegen angesichts einer solchen pathetischen Sprache das Recht herausnimmt, skeptisch zu bleiben, wirkt aus der Sicht der Überzeugten, als werde er in den Tagen des digitalen Armageddon zu den verlorenen Seelen gehören. Missionare einer neuen Religion, und da sind die Internet-Apologeten nicht anders als ihre Vorgänger, neigen zu Endzeitvisionen. Folgt man ihnen, werden vor dem Letzten Gericht die Internet-Gläubigen von den Leugnern, nämlich den Anhängern der »Holzmedien« wie Zeitung, Zeitschrift und Buch, geschieden. Auf die Gläubigen wartet eine neue, strahlende Zeit, die digitale Zukunft, auf die Verteidiger der traditionellen Medien die ewige Verdammnis. Kaum ein Argument wird von den Internet-Aposteln häufiger gegen ihre Gegner vorgebracht als: »Sie haben das Internet nicht verstanden!« So, als sei das Internet nicht ein technisches Instrument, das man auf die eine oder andere Weise einsetzen kann, sondern ein Buch der Offenbarung, das nur eine kleine Schar Eingeweihter richtig zu deuten vermag.
Solche Machtkämpfe werden in Umbruchsituationen stets ausgefochten. Sie begleiteten die erste Medienrevolution (die Erfindung der Schrift) ebenso wie die zweite Medienrevolution (die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern). Für die vielen Beobachter der Szenerie lohnt es sich, Abstand zu nehmen und die Vertreter der einen wie der anderen Glaubensrichtung mit der gebührenden Skepsis zu betrachten. Ich bemühe mich auf den folgenden Seiten, die Argumente zu sichten und sie aus meiner Sicht zu bewerten. Nach meiner Überzeugung sind es keine Buchstaben, keine gedruckten Worte und keine Netze aus Computern, die die menschliche Gesellschaft am Ende voranbringen. Das alles sind nur Hilfsmittel, der wir uns bedienen können. Im Zentrum des gesellschaftlichen Fortschritts steht der Wille jedes Einzelnen, sich ohne Leitung eines anderen seines eigenen Verstandes zu bedienen, wie es Immanuel Kant in seinem berühmten Aufsatz »Was ist Aufklärung?« aus dem Jahre 1783 formuliert hat.
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