L'autore:
Beate Binder ist Professorin am Institut für Europäische Ethnologie und am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin. Moritz Ege ist Doktorand am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin.
Anja Schwanhäußer arbeitet als Stadtethnologin und Künstlerin in Berlin und Wien, zuletzt am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Jens Wietschorke ist Assistent am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien.
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Orte – Situationen – Atmosphären: Eine Einleitung
Beate Binder, Moritz Ege, Anja Schwanhäußer und Jens Wietschorke
Konkrete Orte und Situationen, städtische Atmosphären, geografische Imaginationen, kulturelle Typen und Figuren liefern den Stoff für die Beiträge, die in diesem Band versammelt sind: Sie dienen als Ausgangspunkte für skizzenhafte Kulturanalysen sozial-kultureller Konstellationen. Die Texte bewegen sich also gewissermaßen von konkreten Situationen zu historisch-kulturellen conjunctures, wie sie schon im Erkenntnisinteresse der klassischen Cultural Studies standen (zum Beispiel bei Stuart Hall, vgl. Lindner 2000a). Damit geben sie auch einen – fraglos partiellen, tentativen und hoffentlich anregenden – Einblick in aktuelle Forschungsgebiete, Methoden und Fragestellungen der Europäischen Ethnologie, der volkskundlichen oder empirischen Kulturwissenschaft und angrenzender Disziplinen. Gewidmet ist der Band Rolf Lindner und seiner kulturanalytischen Sensibilität. Der Kreis der AutorInnen setzt sich aus KollegInnen, SchülerInnen und FreundInnen zusammen, die sich dem Format des kulturanalytischen Essays auf unterschiedliche und unterschiedlich ernsthafte Art und Weise genähert haben – nicht mit dem Anspruch, das wissenschaftliche Werk Rolf Lindners umfassend zu würdigen, sondern vor allem, um etwas von seinem Forschungs- und Denkstil aufzugreifen und weiterzuführen. So schlägt sich in den Beiträgen viel von dem nieder, wozu Rolf Lindner die AutorInnen im Austausch, in der Zusammenarbeit wie im Zusammensein angeregt hat, sei es auf direktem Weg oder auf produktiven Umwegen.
Nicht zufällig haben wir den Ansatz beim Konkreten und Topografischen gewählt. Er ermöglicht es, die besonderen Stärken einer Kulturwissenschaft vorzuführen, die qualitativ-empirisch vorgeht und eine grundlegende Offenheit gegenüber der sozialen Welt bewahrt, einen Respekt vor der Textur des Alltagslebens. Der Ansatz beim Konkreten bildet deshalb nicht nur einen zentralen rhetorischen Topos in der Darstellungsweise ethnografischer und kulturanalytischer Forschung, er bedingt auch die Forschungspraxis und das Gegenstandsverständnis – so wichtig es zugleich immer bleibt, die Fallstricke konkretistisch-lokalistischer Verkürzungen zu umgehen. Gerade theoriegeleitete Herangehensweisen erweisen ihre Qualität am empirischen Material, zum Beispiel in der Analyse spezifischer Orte und Situationen. Damit wollen wir auch Rolf Lindners Betonung des »Sehenlernens« aufgreifen, das er in seiner Forschung und Lehre als Voraussetzung kulturanalytischer Praxis versteht. Was einen Ort ausmacht, was sich dort ereignet, was er vielleicht besagen könnte, mit welchen anderen Orten und Vorstellungen ihn verschiedene Akteursgruppen in ihrer Praxis verknüpfen, das erschließt sich über eine Befremdung des alltäglichen Blicks, die Selbstverständlichkeiten thematisierbar macht. Das Sehen setzt Offenheit voraus, ein Sensorium für Stimmungen, Indizien und unerwartete Konstellationen: Es geht auch darum, nicht immer schon Bescheid zu wissen. Der Literat und Ethnograf Hubert Fichte nannte seinen großen, unvollendeten Zyklus von Romanen und Essays eine »Geschichte der Empfindlichkeit«. Fichte lässt sich – trotz seiner ethnologischen Affinitäten – schwerlich in eine akademische Disziplin eingemeinden, doch erinnert sein Titel an die Forderung, sich Erfahrungen auszusetzen, eben empfindlich zu bleiben. So ist die Orientierung am Konkreten letztlich weniger eine im engen Sinn methodische oder methodologische Frage als vielmehr eine Frage der Einstellung zum Gegenstand. Zu dieser gehört der Gestus, »sich den Hosenboden mit echter Forschung schmutzig zu machen«, wie der Chicagoer Stadtforscher Robert E. Park dies von seinen Mitarbeitern verlangte, das Eintauchen in andere Lebenswelten ebenso wie die Reflexion der Bedingungen solcher Alterität.
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