Recensione:
In Lhasa wachsen neuerdings Palmen, grasgrün und unerschütterlich. Es kann sehr kalt werden in Tibets Hauptstadt, den Palmen aber macht das nichts. Sie sind aus Plastik, nachts leuchten sie in Violett und Rosa.. Für die Touristen: Längst ist der Potala-Palast, in dem das spirituelle und politische Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, einst residierte, zu klein für die immer größer werdenden Touristenmassen. Der örtliche Parteichef plant daher einen Miniaturnachbau am Fuße des Winterpalastes, mit modernen Lichteffekten und einem Hightech-Soundsystem. Die Kommunistische Partei Chinas - denn zu China gehört Tibet seit der Besetzung im Jahr 1951 - macht Lhasa zu einem folkloristischen Disneyland.
Weniger als 30 Prozent der 450 000 Einwohner sind mittlerweile Tibeter, den Rest bilden Han-Chinesen, die die Regierung mit Steuervorteilen nach Tibet gelockt hat. Der Dalai Lama sieht darin einen »kulturellen Völkermord«, an dem er doch nichts ändern kann. Wie besessen reist er um die Welt, heute Leipzig, morgen New York und längst ist er darüber zur Ikone geworden. An Tibets Schicksal hat das indessen wenig geändert, und so werden einige Tibeter im indischen Exil in Dharamsala ungeduldig. Die Tibeter seien die »Pandabären der indischen Politik«, schimpft etwa Kelsang Phuntsok, Präsident des tibetischen Jugendkongresses. »Jeder will gern mit uns kuscheln, aber keiner tut was für uns«. Führt der Weg des Dalai Lama als trotz aller Popularität ins Abseits? Ist er gar kontraproduktiv? das sind Fragen, denen der Spiegel-Autor Erich Follath in seinem Buch »Das Vermächtnis des Dalai Lama. Ein Gott zum Anfassen« nachgeht. Follath reist nach Tibet und Dharamsala, er macht sich auf den Pilgerweg zu den hitsorischen Stätten des Buddhismus, er spricht mit dem Dalai Lama und seinem Staatsorakel, dem Ministerpräsidenten der tibetischen Exilregierung ebenso wie mit dem kommunistischen Parteisekretär in Lhasa. Follats Aufzeichnungen haben etwas von einem Reisetagebuch. Ein wenig Reportage, ein wenig Interview, eine Lehrstunde in tibetischer Geschichte und eine in buddhistischer Religion.
Follath mag es schnell, er springt zwischen Orten und Jahrhunderten. Das könnte störend sein und ist es erstunlicherweise nicht. Denn seine Potpourri-Technik ermöglicht es Follath, sehr unterschiedliche Aspekte tiebtischer geschichte und Gegenwart zu erzählen - oft genug erinnert sie an einen spannenden Politkrimi. Gleichzeitig zeichnet Follath ein schillerndes Sittengemälde Lhasa und Dharamsalas. leider verlieren sich die Fragen, die der Autor ausgezogen ist zu beantworten, auf dem Weg. Doch fragt sich der Leser: Wie sollte der Dalai Lama heute denn handeln? Längst hat er sich von der Forderung nach Unabhängigkeit Tibets distanziert. Sollte er auf die Gebiete des ehemals tibetischen Kernlandes verzichten, die China mittlerweile den Nachbarprovinzen einverleibt hat? Würde Tibet im Tausch dafür die lange geforderte Unabhängigkeit in kulturellen und religiösen Fragen erhalten? Das ist zumindest fragwürdig, denn Tibet ist für China in wirtschaftlicher und militärpolitischer Hinsicht viel zu wichtig. Angesichts des übermächtigen Gegners bleibt der Dalai Lama ohnmächtig. Und ist genau deshalb so »begehrt, beliebt und mächtig«, meint Follath. Ein machtloser Gottkönig, der doch so viele Menschen bewegt. (Angela Köckritz in der »Zeit«)
L'autore:
Dr. Erich Follath ist Reporter des »Spiegel«, China-Kenner und hat sich als Sachbuch- und Belletristikautor einen Namen gemacht (unter anderem: »Das Auge Davids« sowie »Himmelbett und Höllenangst«).
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