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Tschechische Philosophen im 20. Jahrhundert: Klíma, Rádl, Patocka, Havel, Kosík - Rilegato

 
9783421052421: Tschechische Philosophen im 20. Jahrhundert: Klíma, Rádl, Patocka, Havel, Kosík

Sinossi

Ein Querschnitt durch die tschechische Philosophie des 20. Jahrhunderts: Neben den pragmatischen Realisten und Moralphilosophen Emanuel Rádl, dem herausragenden Repräsentanten des akademischen Geisteslebens der Zwischenkriegszeit, rückt der philosophische Wüterich und Egomane Ladislav Klíma, dessen nonkonformistisches Werk lange verschwiegen wurde. Zum Dramatiker und Essayisten Václav Havel, der aus der Dissidenz an die Spitze des Staates katapultiert wurde, gesellen sich dessen Mentor Jan Patocka und Karel Kosík, zwei Philosophen von erstem Rang, die ihren Einsatz für politische Reformen teuer bezahlen mußten. Was diese Denker von »Weltruf« (Roman Jakobsen) verbindet, ist ihre Überzeugung, daß jeder philosophische Gedanke erst dann seine volle Bedeutung entfaltet, wenn er zu einer Praxis des Lebens wird.


Ladislav Klíma, »Philosophische Briefe« (1916-1922)
Emanuel Rádl, »Trost der Philosophie« (1942-1946)
Jan Patocka, »Die Sinnfrage der Epoche des Nihilismus« (1977)
Václav Havel, »Politik und Gewissen« (1984)
Karel Kosík, »Der Jüngling und der Tod« (1994)


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Noch einmal: die Aufrichtigkeit Ihres Interesses an meiner Psyche hat mir aufrichtige Freude bereitet. Aufrichtig sind Ihre Ansichten über mich und wahrhaftig; tief und männlich; daß sie auf der Kenntnis meiner Person beruhten, kann ich ihnen nicht zugestehen. Immer schafft sich der Mensch den Menschen nach seinem Bilde. Ich möchte hier meinen eigenen - kleinen und unzureichenden - Blick auf mich selbst anbieten. Sie verlangen, daß ich Nachricht von mir gebe: die beste Nachricht solcher Art ist das Autoporträt: die Taten des Menschen, seinen Zustand - alles vermag ein gutes Auge daraus abzulesen; jemand anderem Nachrichten über sich zu geben, ohne ihm vorher ein Autoporträt zu schicken, ist das gleiche, wie einen Schüler die Syntax vor der Grammatik zu lehren. Es ist schwierig, ein Autoporträt zu geben - für den Intellekt wie für die Affekte. Sich selbst zu sehen ist ein halbes Wunder, so wie sich selbst hochzuheben. Und es ist unangenehm, sich selbst zu loben und zu tadeln und dabei sich selbst Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: sich lächerlich zu machen, seine Geschwüre zur Schau zu stellen, überhaupt sich zu entblößen. Doch für Sie tue ich es gerne.
Auf die Frage »was bin ich?« weiß ich keine bessere Antwort als jenes »Ich bin, der ich bin«. Mein Grundinstinkt, mein Wesen besteht im Bewußtsein meiner Absolutheit, - der Aseität, der souveränen KRAFT des fortwährenden Sieges um des Sieges willen, »Victoria Aeterna« nenne ich dieses Phaenomen. Einzig auf diesem Bewußtsein kann das Wesen des ABSOLUTEN, GOTTES, beruhen; das ABSOLUTUM besteht gänzlich im Bewußtsein der eigenen Absolutheit (es sind nur Meinungen über die Dinge, nicht die Dinge selbst,- oder die Dinge bestehen nur in den Meinungen über die Dinge); ein Bewußtsein, das ich als SELBSTUMARMUNG bezeichne, um mit diesem Terminus den Begriff GOTT zu spezifizieren. - Jeden Augenblick sich als SEIENDES fühlen, als etwas ewig Andauerndes und Unbewegtes; Unbedingtes, über allem Stehendes, Unberührbares; Zufriedenes, sonnenhaft Ruhiges; nichts Wollendes, um nichts sich Bemühendes oder Anstrengendes; mit allem souverän gewaltsam Spielendes. ^ »Weder um der Früchte willen handeln, noch von der Untätigkeit eingenommen sein« (Bhagavad Gita)1. So eine nicht mehr
menschliche, nicht mehr physische -: transzendentale
Existenz war das Ideal allen höheren Philosophierens in der Menschheit, war - in groben Zügen - die Seele aller göttlichen Philosophie; am reinsten herauskristallisiert bei den Indern und den Chinesen; »das Reich Gottes auf Erden« ist nur ein Terminus dafür. Insoweit bin ich noch nicht originell; originell ist meine ganz andersartige Auffassung von Einzelpunkten, meine weitergehende Konsequenz und Folgerichtigkeit sowie verschiedene Konsequenzen, die sich aus meinen philosophischen, hauptsächlich egosolistischen Voraussetzungen ergeben. Darüber kann man sich hier nicht weiter auslassen; ich möchte nur erwähnen, daß meine Weltanschauung und mein gerade beschriebener Grundinstinkt ein und dasselbe sind, daß das, was ich vielleicht später lehren werde, nur Ich sein wird und ganz und gar nur Ich, - wie es anders auch nicht sein soll.
Ich behaupte nicht, daß ich diesen Zustand ganz erreicht habe; nur sehr unzureichend und getrübt; aber doch im wesentlichen. Im Kern und ganz dunkel war ich immer in diesem Zustand; durch die ununterbrochene Übung der letzten io Jahre habe ich ihn mir so bewußt eingeprägt, daß mich jetzt nicht einmal für einen Augenblick das Gefühl meiner Absolutheit verläßt; mein Ich ist nicht mehr das Ich der übrigen Leute ^ Ich bemerke nebenbei, daß es als besten Weg dorthin für den heutigen Menschen - der in den Nebeln seines Denkens immer sinnliche Stützen braucht - ein einziges Wort gibt: Kraft! (scil. die wirkliche, alles überwindende, souveräne Kraft) - immer und immer wieder muß man das wiederholen, - alles übrige ergibt sich daraus. - Alles: im Geleit des größten Lichts die tiefsten, schwärzesten Schatten, neben den exzellierten Bergen die tiefsten, schwärzesten Abgründe ^ Für das Hinaustreten über die menschliche Natur rächen sich, ganz selbstverständlich, alle menschlichen Instinkte durch ihren fürchterlichen Zerfall; das millionenjährige, sanktionierte Gesindel will nicht dem blutjungen unerfahrenen Führer dienen: dem absolut kommandierenden Willen: eine riesige Desorganisation entsteht in seinem Heer: ecce - mein gegenwärtiger Zustand ^ Meinen Sieg bezahlte ich mit einem ungeheuren zeitweiligen Chaos, mit einer Trübung, mit einer Schwächung, einer infernalischen Erschlaffung meines ganzen instinktiven intellektuellen Lebens, - worin bislang der menschliche Geist ausschließlich bestand; niemand hat sich bislang über ihn emporgehoben, alle bisherige »Vernunft« und aller »Wille « sind nur Modi von ihm, niemals verabschiedete sich der absolut kommandierende Wille radikal von dem, was er kommandiert, er ist, genau wie seine psychologischen Voraussetzungen, genau wie meine »Krankheiten«, etwas, was ich bislang nur bei mir angetroffen habe.
Die näheren Einzelheiten würden Ihnen vielleicht mancherlei Unklares aufklären, würden Sie von manchem überzeugen, was Sie in Zweifel ziehen, - obgleich das Ihren Unglauben größtenteils noch verstärken würde: so paradox ist das. Doch diese würden eine viel zu lange Abhandlung, eine ziemliche Selbst- leugnung sowie vielerlei große Anstrengungen verlangen: viele meiner Zustände sind essentiell unklar, müssen es sein. In Kürze: Meine Haupttätigkeit seit Jahren ist: einerseits die unaufhörliche - pardonnez au mot - Ausbreitung meiner selbst im Gefühl meiner Absolutheit, mit allem nur zu spielen zum Zwecke meiner Ernährung, Entfachung, Affirmation, - sowie in der andauernden Festigung, Vollendung dieses Zustandes; andererseits im andauernden krampfhaften Ringen mit dem krampfhaften Chaos, das ich jetzt bin, - und das natürlich auch das ergriff, was mit ihm ringt: den absolut kom. WILLEN, das Selbstbewußtsein der ABSOLUTHEIT ^ Auch das stürzt in jedem Augenblick, wobei es jedoch fortwährend unbewegt steht, und ewig wird es unbewegt stehen, wobei es aber ewig stürzt, - zum Wesen der Welt gehört dieser Widerspruch ^ Ich bin ein Krampf des Lichts; die Welt ist ein Krampf des Lichts ^ Und in diesem Zustand bin ich zufrieden und glücklich und wünsche mir schlechthin nichts anderes und werde auch ewig nichts anderes mehr anstreben; - »ich habe niemals über meinen schrecklichen geistigen Zustand gejammert«, - ich bin keine Memme und kein Dichter: ich war nur hin und wieder gezwungen, diesen zu erwähnen, um mein nach außen hin geführtes Leben, v. a. meine »praktische Untätigkeit«, zu erklären -. Und ich bin darin allem gegenüber gleichgültig; alles, was den Leuten wichtig ist, ist mir Spielerei und Lächerlichkeit, denn ich sehe alles unter mir; ich lasse deshalb jeder Aktion freie Hand, - wenn es mir gefällt, mich schon am Nachmittag schlafen zu legen und dafür nicht die orthodoxen Abendstunden abzuwarten, dann bitte ich z. B., mir das nicht gleich als Feigheit auszulegen. In der transzendentalen Welt, wo das Wollen, wo Zeit und Ewigkeit nur mehr eine schattenhafte Existenz haben, dürfen nicht die Maßstäbe angelegt werden, die für das gewöhnliche animalische Leben gelten; dort herrschen andere Naturgesetze. Wer aus ihrer Höhe herabschaut, sehnt sich genauso nach einem Wirken unter der Menschheit wie der Mensch nach einem Wirken unter den Ameisen, wenn er unter seinen Beinen kaum die schwarzen Punkte unterscheiden kann ^ Wer das für übertrieben hält, hat die transzendentale Welt noch nicht einmal mit einem entfernten Blick besucht. - Und so wie mir alles Äußere gleichgültig ist, so auch die Erkenntnis; erst die Gleichgültigkeit gegenüber allem macht göttlich. In Ihrem Brief aus dem Frühling2 fragen Sie, mit welchen Problemen ich mich gerade beschäftige. In dem Sinne, wie Sie es wohl verstehen -: mit gar keinen. Seit Jahren konnte mich keines mehr okkupieren, keines konnte ich mehr ernst nehmen; d. h., ich sah keines über mir. Alle Probleme besitzen bei meinem Grad an Allanschauung irgendwie noch mehr Futilität als das Phantom einer Fata Morgana, meine Philosophie kennt überhaupt keine Probleme: alles ist fertig und unbewegt und wahrhaftig und seiend und erleuchtet. Ich bin kein Mensch, der erkennt; GOTT erkennt nicht, er weiß; wer weiß, daß alles, daß absolut alle Kontradiktionen wahr sind, der weiß alles und ist vielleicht ein Embryo GOTTES. Erkennen ist nur Bemühen: Beflissenheit, Streberei *, Hecheln; man muß immer in einem Ziel ruhen, darin festsitzen. - Mit alldem soll nicht gesagt werden, daß ich in Zukunft nicht unter der Menschheit wirken will. Im Gegenteil - meine niederen Instinkte wollen das, und ihnen muß man immer ein Feld zum Herumtreiben überlassen. Aber ich werde mit meinem Wirken natürlich nur spielen. Als ich schrieb: »sehnt sich genauso — wie unter den Ameisen zu wirken«, meinte ich damit nicht »sehnt sich überhaupt nicht«; nicht bloß einmal verlangte mich danach, mindestens einen Tag lang Deckflügel von Käfern in den Freßwerkzeugen zum Ameisenhaufen hin- und Puppen von dort wegzutragen. Im menschlichen Sinne will ich nicht mehr; aber unter dem WILLEN, der auf dem Nicht-Wollen beruht, wimmelt es natürlich weiter von Legionen von Willen und Willchen; sollen sie spielen, soll ich spielen Mein WILLE spielt ihr Spiel. -
Nun einige Bemerkungen zu Ihren Urteilen über meinen Zustand.
»Den äußeren Umständen darf ein besserer Mensch nicht erliegen, das wäre eine Schande. Der Triumph der Materie über den Geist.« - Nichts liegt mir ferner, als über dieses tiefempfundene, männliche, mir wohlbekannte Gefühl, das diesen Sätzen zugrunde liegt, »zu lachen«. Derart spricht der edelmütigste Stolz des Animale. Doch nur der Stolz und nur der Stolz des Animale. i.) Der Stolz sieht alles falsch. Sich zum Ziel zu setzen, dem Äußeren nicht zu unterliegen, wenn hundertlei Erfahrungen jede Minute zeigen, daß wir ihm notwendigerweise immer und immer wieder! unterliegen, ist fast das gleiche wie der Wunsch, nicht der Erdanziehung zu unterliegen. Eine Kugel, eine Bazille, der Stich einer Mücke, die gerade einen Kadaver verläßt, ein Klümpchen, das eine Arterie verstopft .., - und Sie sind dem Äußeren aufs gründlichste unterlegen. Ein Fettfleck auf dem hellen Kleid, ein Tritt in die Fäkalien, ein nicht erwiderter Gruß, das Blinzeln der Augen und das Zucken unseres Körpers, wenn jemand die Faust gegen unser Gesicht schwingt, auch wenn wir wissen, daß das fingiert ist, alle nervlich reflexiven Bewegungen usw., - es gab noch keinen Philosophen, dessen Geist, wenn auch nur für einen Augenblick, nicht andauernd solchen Lappalien unterlegen wäre. Sie sagen vielleicht, daß ich Ihre Gedanken auf sophistische Weise erweitere, daß es hier nur um ein definitives Unterliegen rebus adversis geht, um eine Kapitulation vor dem Leben. Ich aber behaupte, daß wir, wenn wir in die Tiefe jedes einzelnen Gedankens schauen wollen, ihn auf größtmögliche Weise erweitern und verallgemeinern müssen. In unserem Fall gelangen wir dann zu dem Schluß, daß das dauerhafte Unterliegen im wesentlichen dasselbe ist wie das momentane Unterliegen und daß es nur illusorisch etwas anderes ist, daß jenes ehrwürdige Gefühl durch und durch eine Frucht des Herzens und keineswegs der Vernunft ist. 2.) Die Animalität ist immer unphilosophisch. Hohe Philosophie kennt keine Unterscheidung zwischen dem Äußeren und Inneren. Für mich »ist die äußere Welt«, all die Leute und das Geld und das Gelumpe schlechthin nur in der inneren Welt, in meinen Gedanken, die ich in einem beträchtlichen Maße mit psychologischen Methoden behandle ^ Doch andersherum sind mir alle meine Gedanken, ergo auch die »äußere Welt«, ein Außeres, d. h. etwas, was mein WILLE außerhalb seiner selbst als sein Spielzeug sieht. - Den finanziellen Umständen zu unterliegen, betrachte ich z. B. auf dieselbe Weise, wie einer progressiven Paralyse zu unterliegen. Ich kann deshalb das Wort vom »Triumph der Materie über den Geist« nicht unterschreiben: es gibt keine Materie. Sagen wir also statt dessen - so werden Sie vielleicht einwenden - »das Unterliegen der höheren geistigen Zustände gegen die niedrigeren«. Aber warum immer gegen die »niedrigeren?«, oft sind sie nur allzu heterogen, unpassend, aber trotzdem mächtig ^ Und warum - »Unterliegen«? Wer überhaupt nicht ans Kämpfen dachte, ist nicht unterlegen. Muß man mit jedem Landsknecht und Hausknecht kämpfen? »Feiglinge!« sagte der Dreck auf dem Gehweg, »alle weichen mir aus, alle fürchten sich vor mir!« Sub specie meae aeternitatis betrachtet, ist dieses kleine Leben nur eines von Millionen Büchern in der Bibliothek, das ich, wenn ich will, lesen kann, das ich, wenn ich will, unberührt an seinen Platz zurückstellen kann. Alle Bücher lohnen das Lesen nicht, aber es ist die Erbsünde, die Erbviecherei der Menschheit, daß sie glaubt, daß gerade dieses eine Büchlein, von sehr problematischem Wert, bis zu Ende gelesen werden muß. »Unterliegen« würde ich gerade dieses Unterliegen gegen die Erbviecherei nennen.
Ganz richtig haben Sie geschrieben, daß »es sich bei mir im Wesentlichen sicher um eine innere Krise handelt«. Äußere Umstände spielen, obschon sie mir meinen Zustand unleidlich machen, mich belasten und eine Besserung erschweren, doch nur eine untergeordnete Rolle; ich würde von ihnen überhaupt nicht sprechen, wenn ich gesund wäre, - ich würde sie schnell radikal ändern. Bei den Leuten, die für etwas stehen, entscheidet immer die Internität. - Aber mit der Bezeichnung »Krise« kann ich nicht einverstanden sein. Die akute Verschärfung eines kulminierenden, vorwärts eilenden Prozesses ^ Aber mein Prozeß - ein Rotationsprozeß um die eigene Achse; die akute Zuspitzung - die liegt schon hinter mir, hinter mir liegt der Gipfel; die Spitzen wurden weich, und die Süße der Nachmittagssonne schläft über der Landschaft. Mein Fall ist einfach: ich bin ein Mensch, der, nachdem er eine schwere Arbeit vollendet hat, zerrissen und zu Tode ermattet daliegt; eine Krise das? .. - Nach der Krise »Werke« schaffen? Das Werk ist vollbracht. Das wichtigste Werk des Menschen ist immer, sich selbst zu machen; literarische usw. Werke sind daneben etwas Armseliges, Äußerliches, obschon der Mensch erst mit ihnen für die Leute anfängt. - Die Ursache, warum ich nicht literarisch tätig bin, ist nicht, daß »das Leiden mich in seinen Klauen hält« - sondern, neben anderen, daß mich verschiedene kuriose Dämonen, eine kuriose »Ermattung« gepackt hält ^ - Mein Zustand ist vielleicht auch deshalb keine Krise, weil ich vielleicht »mein eigener Herr« bin, weil ich vielleicht »weiß, was mit mir vorgeht, wo alles hineilt Sie würden freilich wohl behaupten, daß dieser Blick auf mich selbst nur ein gräßlicher Irrtum ist, entstanden aus meiner Krankheit, und daß er sich verflüchtigen wird wie ein Wölkchen, »sobald es sich in meiner Seele wieder aufhellt«. Nun - - heute nur soviel: die Sache ist nicht nur psychologisch, sondern metaphysisch, womit gesagt wäre, daß meine Ansicht unwiderlegbar ist ^
Ich bin ein statischer Mensch, Sie sind ein dynamischer Sie sind eine Gerade, ich bin ein Kreis: meine Geraden sind nur Teil meines großen Kreises, nichts als Teil Ihrer großen Geraden sind Ihre Kreise. Wie in einem Wirbel, stürmisch im Werk voraneilend, werden Sie von diesem dämonisch hingerissen und gehetzt. Die Unruhe - nicht die ungesunde - ist Ihr Wesen, Ihr Element, Ihr Klima, in dem sie am schnellsten wachsen. Nach der Ruhe sehnen Sie sich nun am meisten, in ihr ist etwas, was Sie vor allem nötig haben, worin Sie vielleicht Ihr Ziel erblicken. Das zeigt aber nicht, daß diese Ihre Heimat wäre, sondern im Gegenteil daß Ihre Heimat die Unruhe ist: gerade deshalb, weil Sie gänzlich ruhelos sind, leben Sie in ihr so übermäßig intensiv, daß Sie sich ermattet von Zeit zu Zeit zwangsläufig immer nach ihrem Gegenteil - nach Rast - nach einem Wechsel sehnen. Aber diese Sehnsucht ist nur zeitweilig, nur ein zeitweiliger, gelegentlicher Hafen ist Ihnen die Ruhe, Ihre Heimat ist das offene Meer. Wenn Sie längere Zeit in Ruhe verbringen würden, so würden Sie sich nach Unruhe sehnen - stärker als jetzt nach der Ruhe. Zwischen der externen und internen Unruhe unterscheide ich hier nicht: wer ein Sturm ist, dem reicht dazu nicht bloß der innere Sturm: er benötigt zwangsläufig die äußeren Komplemente. - Diese Meinung über Sie begründe ich schon damit, daß es Ihnen bislang nicht gelungen ist, sich Ruhe zu verschaffen: was der Mensch wirklich braucht, das bekommt er auch, sei dieses auch von den Umständen nur minimal begünstigt: sein Tod wäre die Folge, bekäme er es nicht; ohne Zaudern wirft er alles über Bord - vornehmlich alle Rücksicht auf die Leute -, was sich seinem Nutzen in den Weg stellt. Ich habe mir schon mit 17 Jahren Ruhe verschafft; ich verschaffe sie mir auch heute. - Nicht »Ruhe«: der hygienische Wechsel zwischen Zeiten von Sturm und Ruhe, von Krieg und Frieden ist das, was Sie brauchen. Schauen Sie mit einem freundlicheren Auge auf Ihr bisheriges Treiben, Ihren besten Freund. Sie sind der geborene Schatzsucher und Jäger: Abenteuer, Windstürme, Strapazen sind Ihr Schicksal. Groß kann es werden, schön ist Ihr Los schon -: weiter voran!
Beim nächsten Mal werde ich Ihnen über etwas Objektiveres schreiben. Verzeihen Sie, daß dieser Brief es vermissen ließ: da Sie nach Ihren Worten letzte Woche wohl beim Herrn Dr. Kriz2 waren, habe ich mich mit dem Abschicken nicht beeilt, damit Sie ihn um so freudiger direkt in die Hand bekommen. Der Brief, den ich sofort nach Erhalt Ihres Einschreibens schickte, haben Sie ihn erhalten? - Ich freue mich sehr auf Ihr Rückschreiben, nicht weniger auf ein erneutes Wiedersehen. - Meine Situation unverändert, der Zustand relativ günstig. Ich wünsche Ihnen das Allerbeste!
In Hochachtung und Dankbarkeit, Ihr ergebener Vysocany, 29.VIII. 16.Ladislav Klima
Lieber Freund!
Dieser Brief kommt so skandalös spät, daß Sie die Ideen, die ihm zugrunde liegen, schon fast vergessen haben, ganz sicher aber sind sie stark verblaßt und haben an Aktualität verloren: so daß Sie mit seltsamer Verwunderung fragen werden: »Warum kriecht dieses tote Gespenst noch auf mir herum?« Und ich bin mir der komischen Unzeitigkeit dieses Briefes derart bewußt, daß ich Ihnen rate, Sie bitte: lesen Sie ihn nicht! - wenigstens nicht gewissenhaft, und ganz besonders nicht die Stellen, an denen es Ihnen beschwerlich und fad wird. Dies um so mehr, als er Ihnen kaum die Erklärungen liefert, die Sie sich gewünscht haben; das vor allem aus drei Gründen. Aufgrund der schon erwähnten Unmöglichkeit, die Einzelheiten der neuen Philosophie zu begreifen ohne eine Kenntnis ihrer Grundlagen, und aufgrund der Unmöglichkeit, diese Grundlagen in Kurzfassung begreiflich zu machen - zu deren gutem Verständnis ist wiederum die Kenntnis zahlreicher Einzelheiten notwendig, - circulus, - der einzige Ausweg daraus: ein voluminöses System der Philosophie zu schreiben. Zweitens aufgrund der ungeheuren Schwierigkeit des Stoffes selbst: seiner Superabstraktheit, Labyrinthhaftigkeit, der häufigen Ungreifbarkeit, essentieller Unklarheit, der ewigen Nacht. Drittens aufgrund meiner gegenwärtigen Schwäche, - ich würde die Sache wenigstens so darstellen, wie sie dargestellt werden könnte; und hier hauptsächlich wegen meines bisherigen, von den Instinkten auferlegten Willens, mir vieles nicht klarzumachen. Meinem Empfinden ist alles klar; dem Verstand vieles unklar; aber meine innere Gewißheit, daß ich auf dem richtigen Weg bin, ist so ausgeprägt, daß es mich nicht stört; ich bin mir dessen bewußt, daß mein absolut gebietender Wille, wann immer es mich danach gelüstet, aller Erklärungen habhaft wird, die ich brauche, und daß meine grundlegende Ansicht einfach nicht widerlegt werden kann. Ich ließ nicht deshalb vieles im dunkeln, weil ich mich vor dem Licht gefürchtet hätte, sondern nur aus utilitaristischen, prozeduralen Gründen nun können z. B. verschiedene ganz indifferente Gedanken, auch nur ihre dunklen Schatten, - genau wie ein bloßes Widerwort - oder mein Gesicht im Spiegel oder die Berührung meines Kinns oder der Blick auf meine Nasenspitze ^ - meinen gegenwärtigen und früheren »kränkelnden« Zustand ernsthaft verschlechtern, mich um eine Woche zurückwerfen; mein gesunder Lebenstrieb befiehlt mir, dergleichen Gesindel mir vom Leibe zu halten ^ Andernfalls - ich bin kein theoretischer Philosoph, sondern praktischer; ich will leben und sein, nicht etwas sagen und lehren. Den heutigen Leuten geht der Begriff »praktischer Philosoph« natürlich ab; wo jemand bei den letzten Zeilen den Mund verzieht: »ein reiner Philosoph, der sich nicht im klaren ist, weiß nicht, was er will und denkt!« Aber die praktische Philosophie, - nebenbei gesagt, steht ewig über dem schwarzen Abgrund der Ewigkeit, etwas weit Höheres als die bloß theoretische, bloß ideelle Philosophie, sie bedarf der Unklarheiten notwendigerweise - sie sind ihr etwas, was der Klarheit ebenbürtig ist ^ Mit diesem Brief bin ich mancher- orten dem umsichtigen Regime untreu geworden, das ich bis jetzt beibehalten habe; allerlei, das absichtlich im Dämmerlicht blieb, habe ich an den Tag gezogen; das war nicht immer leicht, ich mußte bei der Arbeit bestimmte Umstände beachten, um ernstlichere Schäden zu vermeiden. Die Schäden blieben gering, in vielerlei Hinsicht war es sogar hilfreich, und wenn Ihnen dieses Schreiben nicht nützlich sein wird, mir war es das, - danke!


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Hagedorn, Ludger
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Gewebe. 469 Seiten; 18 cm x 11 cm. Stempel "Mängelexemplar" auf Fußschnitt, sonst wie neu. Lesebändchen. C2/336 Sprache: Deutsch Gewicht in Gramm: 400. Codice articolo 19192

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