Eine bewegende Hommage an seine Mutter: Mario Adorf, Deutschlands beliebtester Schauspieler, ganz privat und authentisch. Diese Erinnerungen zeigen seine wenig bekannte, verletzliche Seite.
Der große Schauspieler Mario Adorf erzählt das Leben seiner geliebten Mutter Alice, die 1998 im Alter von über neunzig Jahren starb. Sie war eine bescheidene, stolze, zähe Frau, der ihr aufregendes, ruheloses und entbehrungsreiches Leben nichts geschenkt hatte. Außer einem Sohn, den sie – allein – in liebevoller Schroffheit erzog. Ein Leben voller Abenteuer, Not und Katastrophen in der Eifeler Provinz, in der Schweiz und in Süditalien.
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Der Schauspieler und Schriftsteller Mario Adorf wurde 1930 in Zürich geboren. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Mayen bei Koblenz und studierte später Philologie und Theaterwissenschaften. Von 1953 bis 1955 besuchte er die Otto-Falckenberg-Schule in München und war bis 1962 an den Münchener Kammerspielen beschäftigt. Inzwischen hat Mario Adorf über 100 Filme im In- und Ausland gedreht und Engagements an ungezählten Theaterbühnen gehabt. Zu seinen wichtigsten Filmen gehören "Nachts, wenn der Teufel kam", "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" von Volker Schlöndorff und "Lola" von Rainer Werner Fassbinder. Für herausragende Verdienste um den deutschen Film wurde Mario Adorf mit dem Deutschen Filmpreis 2004 ausgezeichnet.
Nach dem Tod meiner Mutter im Februar 1998 stand ich vor der Aufgabe, ihr Haus in München-Grünwald zu verkaufen und den Haushalt aufzulösen. Eine traurige Beschäftigung, die Entscheidungen verlangt: wegwerfen oder aufbewahren, verschenken oder entsorgen – entsorgen! Auch eines dieser schrecklichen modischen Wörter. Nicht daß es unzutreffend wäre, im Gegenteil, es ist von einer grausamen Genauigkeit: sich einer Sorge zu entledigen könnte mit einem Wort nicht zutreffender ausgedrückt werden. Aber es ist mehr als eine Sorge, die bei der Auflösung eines Haushalts waltet, vor allem, wenn es sich um die ganz intimen Gegenstände handelt, die sich im langen Leben eines vertrauten Menschen angesammelt haben.
Da ich diese Arbeit nicht allein bewältigen konnte, sondern auf Hilfe angewiesen war, erledigte sich ein Teil der Aufgabe von selbst. Viele Dinge verschwanden einfach, und ich stellte erst später fest, daß sie fehlten, kleine, an sich eher wertlose Überbleibsel, von denen der Helfende nicht wissen konnte, daß sie eine persönliche Bedeutung hatten.
Das einfachste dabei war das Beseitigen, das Wegwerfen des ganz offensichtlich Nutzlosen, Abgenützten, wie alte Sitzmöbel, fleckige Matratzen, ausgetretene Schuhe oder verfallene Medikamente.
Dann gab es viele Dinge, die man nicht wegwerfen oder weggeben kann. Gegenstände, die nur einem selbst wichtig sind: Fotos, alte Pässe, Briefe, Postkarten, Adressen, Todesanzeigen lieber Menschen, Eintrittskarten zu unvergeßlichen Theaterabenden …
Die geretteten Erinnerungsstücke füllen ein paar Kartons, werden mitgenommen, in einem Keller oder auf einem Speicher gelagert, vielleicht sogar irgendwann geordnet und eine Zeitlang in Ehren gehalten, und dann werden sie eines Tages, wenn die Auflösung einen selbst betreffen wird, von anderen weggeworfen oder, wer weiß, aufbewahrt werden.
Seit nunmehr sieben Jahren steht ein etwas mehr Raum beanspruchender Gegenstand in meinem Keller, der einen besseren Platz durchaus verdient hätte, obgleich mir einige Male geraten wurde, das alte Ding doch wegzuwerfen. Ich spreche von der alten Nähmaschine meiner Mutter, die gewiß nutzlos geworden ist und die ich dennoch nicht »entsorgen« könnte. Es käme mir vor, als würde man ein altes, verdientes Pferd stracks dem Schinder überlassen, anstatt ihm sein Gnadenbrot zu gönnen.
Denn für meine Mutter war diese Nähmaschine das Werkzeug ihres Lebens, sie schien mir über Jahrzehnte fast wie ein Teil ihres Körpers. Sie war der Gaul, der uns über die ganzen Jahre am Leben erhielt, von den geschundenen Beinen meiner Mutter angetrieben und mit ihren geschickten Händen gelenkt. Nie hatte sie später die Anschaffung einer elektrisch angetriebenen Maschine auch nur in Erwägung gezogen, die ihr zu mechanisch gewesen wäre, zu unsensibel, keiner vorsichtigen Stichführung fähig.
Ich erinnere mich jenes Weihnachtsfests 1939, sehe meine Mutter, wie sie mir die Nähmaschine zum ersten Mal zeigt. Versenkbar, das erschien ihr damals als das Besondere, und sie zeigte mir auch, wie man die Maschine in dem dunkel gebeizten Gehäuse aus Eichenholz zum sich Ausruhen verschwinden läßt. Aber seit damals bis zu ihrem Tod, also fast 60 Jahre lang, habe ich sie niemals wieder versenkt gesehen, und längst fehlt das schmale Brett, das die hinuntergeklappte Maschine verdecken soll, und läßt eine häßliche Lücke, durch die man in dem Gehäuse die gekippte Maschine auf der Seite liegen sieht wie eine tote Katze.
Wie alt, zerkratzt und stumm erscheint sie mir nun. Aber dann, auf einmal, sehe ich wieder die wippenden Füße meiner Mutter auf dem Pedal, höre das Schnurren oder das schnellere Rattern, das Langsamwerden, das Anhalten, das Schnippen der Schere, die die Fäden trennt, dann das leise Ächzen meiner Mutter, wenn sie sich kurz aufrichtet, durchatmet, wieder den Hebel löst, der den stählernen Preßfuß auf den Stoff senkt, und wie sie mit der rechten Hand die Maschine durch ein leichtes Anwerfen des Schwungrades wieder in Gang bringt. Und mir scheint, als würde mir die Nähmaschine mit jedem Wippen des Pedals, mit jedem Stich, mit jedem Abspulen der langen bunten Fäden die Geschichte meiner Mutter erzählen – und auch die Geschichte meines Lebens mit ihr …
Caspar Adorf, der Vater meiner Mutter, war 1865 in Mayen in der Eifel geboren worden, hatte als preussischer Soldat bei den Ulanen gedient, ging danach als Sattlergeselle auf die Walz und kam Ende der 80er Jahre des vorletzten Jahrhunderts in die Schweiz, machte sich als Sattlermeister in Zürich selbständig, heiratete die acht Jahre jüngere Elsässerin Catharina Kieffer aus dem damaligen Zabern, dem heutigen Saverne, und besaß Mitte der 90er Jahre ein gut gehendes Sattlergeschäft samt einer großen Werkstatt im Hinterhof in der Zürcher Kasernenstraße, die entlang der Sihl verläuft, einem Flüßchen, das hinter dem Landesmuseum in die Limmat mündet. Caspar wurde durch die unmittelbare Nähe der Kaserne bald ein wichtiger Lieferant der Kavallerie der Schweizer Armee, die er mit allem möglichen Lederzeug ausrüstete: mit Reitsätteln, Pferdegeschirr und Zaumzeug, Stiefeln und Peitschen, Satteltaschen, Pferdedecken und Futteralen für Pistolen und Feldstecher, auch stellte er für die zivile Kundschaft Koffer, Akten-und Reisetaschen, Schreibmappen, Portefeuilles und Portemonnaies, Schuhe und Gamaschen, Gürtel und Hosenträger her.
Einige Häuser von seiner Werkstatt entfernt, hatte er in der gleichen Straße im zweiten Stock eines Eckhauses eine große Wohnung bezogen, die mit dunklen Schränken, Tischen und Stühlen und schweren ledernen Sesseln möbliert war. Draußen, vor dem Wohnzimmer, thronte an der Ecke ein mit einem üppigen Gitter verzierter Balkon.
Als 1912/13 das preußische Deutschland in seinen Hegemoniebestrebungen in Europa immer deutlicheres Säbelrasseln hören ließ, dachten Zürcher Stadtobere und Milizionäre darüber nach, daß es nicht gut sei, wenn ein Deutscher, ein »Schwoob«, die Schweizer Armee belieferte und daß man ihm daher die eidgenössische Staatsbürgerschaft anbieten sollte, die Caspar aber – er fühlte sich wie viele Rheinländer preußischer als ein Preuße – mit dem überlieferten Satz ablehnte: »Das kann ich meinem Kaiser nicht antun!«
Seine Frau Catharina hatte unter ihrem herrischen Caspar kein leichtes Leben. Sie hatte ihm vier Kinder geschenkt: 1897 den Sohn Franz, 1900 die älteste Tochter Elsy, dazwischen irgendwann die »herzige« Fanny, die kaum vierjährig starb, und schließlich kam als letztes Kind Alice am 27.12.1905 zur Welt.
Auf einem der wenigen Familienphotos sehen wir Caspar Adorf als einen stattlichen, streng dreinblickenden Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart und militärisch kurz geschnittenen, frühzeitig ergrauten Haaren. Seine Frau Catharina, die wohl in ihrer Jugend eine hübsche, lebenslustige junge Frau war, ist auf der Fotografie mit ihren vierzig Jahren eine ausladende Matrone. Rechts neben ihr auf der Jugendstilbank des Photographenateliers sitzt zierlich und aus den Augenwinkeln den Betrachter scheu anblickend die achtjährige Alice. Hinter den Eltern stehen die mit ihren fünfzehn Jahren frühreif wirkende, nach der vollbusigen Mutter geratene Tochter Elsy mit einem trotzigen Zug um die Mundwinkel und neben ihr, mit verschränkten Armen und einem spöttischen Lächeln, der siebzehnjährige Franz. Die Erinnerung meiner Mutter an ihren Vater war eher liebevoll.
Ich ging gern mit ihm in die Sattlerwerkstatt. Ich liebte den Ledergeruch, den mein Vater, auch wenn er nicht in Arbeitskleidung war, nie ganz los wurde. Ich erinnere mich an meinen Schulranzen, den er selbst für mich gemacht hat, obwohl er über ein Dutzend Gesellen und Lehrlinge beschäftigte und kaum Zeit hatte, selbst Hand anzulegen. Mein Vater war ein leidenschaftlicher Sänger, er nahm mich oft zu den Proben seines Sängerquartetts mit, wo er mich auch schon mal auf einen Stuhl stellte und mich ein Lied singen ließ. Nur wenn er meinen großen Bruder Franz verprügelte, den er als ungehorsam und aufmüpfig bezeichnete, machte er mir Angst. Ich sehe meinen Vater noch, wie er breitbeinig auf dem Eckbalkon der Wohnung stand, wenn Franz, sein Ältester, unten auf dem Pferd durch die Kasernenstraße galoppierte, was er ihm streng verboten hatte. Dann stieß er einen kurzen, grellen Pfiff aus, während er mit der Reitpeitsche ungeduldig und drohend an den Schaft seiner glänzenden braunen Ledergamaschen schlug. Wenn Franz dann auftauchte, stand Caspar wartend im Flur und verschwand mit Franz in dessen Zimmer. Ich hörte die Peitschenhiebe und die unterdrückten Schreie meines Bruders. Dann rannte ich weinend in die Küche zur Mutter, wo wir die Schläge gemeinsam mitleidend zählten. Auch die Mutter hatte Angst und wagte nicht einzuschreiten.
Alice ging in Zürich zur Grundschule. Als »Dütsche« erfuhr sie zum ersten Mal ihr Anderssein. Sie senkte den Kopf, wenn die Zürcher Schulkinder sangen: »Gönd usse, ihr Schwoob!« Deutsche raus!
Caspar hingegen empfand sich nach den vielen Jahren in Zürich immer noch als unerschütterlicher, kaisertreuer Deutscher, und so brachte er 1915, im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs, seinen Sohn Franz, obwohl er ihn als Sattlergesellen im Geschäft gut hätte brauchen können, an dessen achtzehnten Geburtstag eigenhändig über die deutsche Grenze nach München und lieferte ihn dort in der Kaserne der Schweren Reiter ab, damit er eingezogen werde, um seinem Kaiser Willem dabei zu helfen, den Franzmann, wie er die Franzosen verächtlich nannte, zu schlagen. Franz kam zur Westfront, wurde durch einen Schuß in den Unterkiefer verwundet, danach leistete er Dienst in einem Offiziersheim.
Catharina, die Mutter, sorgte nicht nur zu Hause für ihren Mann und die drei Kinder, sondern kochte auch, wie es damals üblich war, das Mittagessen für die Belegschaft der Sattlerei. Dazu machte sie die Buchführung des kleinen Betriebs. Die Arbeit zu Hause und im Geschäft nahm überhand, und sie starb im Jahre 1915 mit nur einundvierzig Jahren an einem Herzschlag, wie man ...
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