Das neue Buch der Nobelpreisträgerin
Alfred und Emily, das sind Lessings Eltern: der Vater kriegsversehrt und traumatisiert, die Mutter zeit ihres Lebens verbittert, weil das Schicksal es nicht gerade gut mit ihr meinte. Lessing schreibt in diesem wunderbaren Buch die Geschichte einfach um und erschafft für ihre Eltern ein Leben jenseits von Krieg und Entbehrung. In ihrer Fiktion erfüllt sie dem Vater seinen Herzenswunsch, eine Farm im ländlichen England zu bewirtschaften, und ihrer Mutter gibt sie die Möglichkeit, sich nach und nach zu einer unabhängigen Frau mit einer wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe zu entwickeln. So großartig und anrührend dieses Gedankenspiel auch ist, kommt Lessing nicht umhin, den schönen Traum im zweiten Teil ihres Buches mit der Realität zu konfrontieren – und sie erzählt, wie es wirklich war.
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Doris Lessing, 1919 im heutigen Iran geboren und auf einer Farm in Südrhodesien (Simbabwe) aufgewachsen, lebt seit 1949 in England. 1950 veröffentlichte sie dort ihren ersten Roman und kam 1953 mit "Eine afrikanische Tragödie" zu Weltruhm. In Deutschland hatte sie ihren großen Durchbruch 1978 mit der Veröffentlichung von "Das goldene Notizbuch", das seitdem zu ihrem Hauptwerk gezählt wird. Heute ist Doris Lessing eine der bedeutendsten Schriftsteller der Gegenwart, ihr umfangreiches Werk umfaßt Lyrik, Prosa und autobiographische Schriften. Im Oktober 2007 wurde sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
Meine Eltern waren bemerkenswert, aber auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Was sie gemeinsam hatten, war allerdings ihre Energie. Der Erste Weltkrieg hat beide aufgerieben. Meinem Vater wurde durch eine Splittergranate das Bein zerschmettert, und er musste danach ein Holzbein tragen. Er hat sich nie mehr von der Zeit in den Schützengräben erholt. Als er mit zweiundsechzig starb, war er ein alter Mann. Auf dem Totenschein hätte als Todesursache »Erster Weltkrieg« stehen sollen. Die große Liebe meiner Mutter, ein Arzt, ist im Ärmelkanal ertrunken. Von diesem Verlust hat sie sich nicht mehr erholt. Ich habe versucht, meinen Eltern das Leben zu geben, das sie vielleicht geführt hätten, wenn es nie zum Ersten Weltkrieg gekommen wäre.
Was meinen Vater angeht, war das nicht schwer. Er hat in seiner Kindheit mit den Farmersjungen auf den Feldern um Colchester gespielt. Er wollte sein Leben lang immer Farmer sein, in Essex oder in Norfolk. Er hatte nicht das Geld, um eine Farm zu erwerben, also habe ich ihm seinen Herzenswunsch erfüllt, Farmer in England zu sein. Er war ein ausgezeichneter Sportler und spielte besonders gut Kricket.
Meine Mutter hat in den vier Kriegsjahren Verwundete im alten Royal Free Hospital gepflegt, das sich damals im Londoner East End befand. Als sie zweiunddreißig war, bot man ihr die Stelle einer Oberschwester im St. George's Hospital an, damals eines der bedeutendsten Krankenhäuser überhaupt. Heute dient das Gebäude als Hotel. Normalerweise musste eine Frau die vierzig überschritten haben, um Oberschwester werden zu können. Meine Mutter war ungeheuer tüchtig. Als Mädchen habe ich sie oft geneckt, dass sie, lebte sie in England, bestimmt das Women's Institute leiten oder wie Florence Nightingale auf beispielhafte Weise Krankenhäuser umstrukturieren würde. Außerdem war sie musikalisch begabt.
Jener Krieg, der Erste Weltkrieg, der Krieg, der alle Kriege beenden sollte, hat meine Kindheit überschattet. Die Schützengräben waren mir genauso präsent wie all das, was mich tatsächlich umgab. Und ich versuche noch immer, diesem monströsen Vermächtnis zu entgehen, mich davon zu befreien.
Wenn ich Alfred Tayler und Emily McVeagh jetzt treffen könnte, so, wie ich sie gestaltet habe, wie sie vielleicht gewesen wären, hätte es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben - dann hoffe ich, dass sie das Leben gutheißen würden, das ich ihnen gegeben habe.
ERSTER TEIL
Alfred und Emily: Eine Novelle
1902
Der Sonnenschein während der langen Sommer zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts versprach nichts als Frieden und Fülle, nichts als Wohlstand und Glück. Unvergleichlich waren diese Sommertage, an denen unentwegt die Sonne schien. Tausend Memoiren und Romane belegen das, also darf ich mit Zuversicht davon ausgehen, dass an jenem Samstagnachmittag im August 1902 in dem Dorf Longerfield herrliches Wetter war. Man feierte gerade das jährliche Sommerfest der Allied Essex and Suffolk Banks, das auf einem riesigen Feld stattfand, welches der Farmer Redway jedes Jahr zur Verfügung stellte und auf dem er normalerweise Kühe hielt.
Es gab die unterschiedlichsten Aktivitäten. An den aufgeregten Schreien und Rufen am Rand des Feldes war zu erkennen, dass dort die Kinder spielten. Unter ein paar Eichen ruhte auf Böcken eine lange, mit allen möglichen Speisen beladene Tischplatte. Die größte Aufmerksamkeit erregte allerdings ein Kricketmatch; um die weißgekleideten Spieler hatten sich die meisten Zuschauer versammelt. Auf diese Szenerie sollten bald die Schatten der großen Ulmen fallen, die das Feld von dem angrenzenden trennten, von wo aus die vertriebenen Kühe das Geschehen beobachteten und wie Klatschbasen unentwegt mit den Kiefern mahlten. Die Spieler in der adretten weißen Kleidung, die nach einem ganzen Tag auf dem Spielfeld schon ein wenig staubig war, wussten, wie wichtig sie auf diesem Fest waren und dass sich alle Blicke auf sie richteten, auch die einiger Städter, die an einem Zaun lehnten und ebenfalls am Geschehen teilhaben wollten.
Nicht weit vom Kricketfeld entfernt saßen auf Kissen im Gras eine üppige blonde Frau, deren gerötetes Gesicht verriet, dass sie die Hitze nicht vertrug, und ein winziges, zartes Mädchen - ihre Tochter - sowie ein weiteres Mädchen. Sie hatte sich vorgebeugt, blickte Mrs. Lane ins Gesicht und hörte sich an, was diese gerade sagte: »Mein Liebes, wenn du Streit mit deinem Vater hast, ist das sehr ernst.«
In diesem Moment kam ein junger Mann nach vorn und blieb mit seinem Schläger am Wicket stehen, und die blonde Frau beugte sich vor, um ihm zuzuwinken, was er lächelnd und nickend zur Kenntnis nahm. Er sah auffallend gut aus, dunkel und muskulös, und dass er nun dort stand, war offenbar etwas Besonderes, denn auf einmal war es ganz still. Der Bowler warf einen Ball, und der Batsman schlug ihn mühelos weg.
»Schschsch«, sagte Mary Lane. »Moment, ich möchte sehen, ob ...«
Auch Daisy, das zierliche Mädchen, beugte sich vor, um zuzusehen, also sah Emily McVeagh, das andere Mädchen, ebenfalls zu, auch wenn sie wahrscheinlich nicht viel mitbekam. Sie hatte vor Aufregung und Entschlossenheit einen roten Kopf und warf der Frau immer wieder Seitenblicke zu, weil sie hoffte, dass sie sich ihr zuwenden würde.
Wieder schoss ein Ball auf den gutaussehenden jungen Mann zu, wieder schlug er ihn weg, und nun gab es Applaus.
»Gut gemacht«, sagte Mrs. Lane und wollte schon klatschen, aber der Bowler setzte bereits wieder an.
Noch einmal . . . und noch einmal . . . als ein Ball ganz in der Nähe der Frauen landete, kam ein Spieler der Feldmannschaft angerannt, um ihn zu holen. Das Innings ging weiter, immer wieder wurde vereinzelt applaudiert, und als der junge Mann den Ball schließlich fast bis dorthin schlug, wo die Kinder spielten, wurde heftig geklatscht.
Es war Zeit für den Tee. Alles umlagerte den langen Tisch, wo eine Frau am Teespender stand und Tassen verteilte.
»Ich könnte eine Tasse vertragen, Daisy«, sagte Daisys Mutter, also lief das Mädchen los, um sich in die Schlange zu stellen.
Nun fiel Mrs. Lane wieder ein, dass Emily noch einiges von ihr erwartete, also wandte sie sich dem Mädchen zu und sagte: »Ich glaube, du weißt gar nicht, was du dir da vorgenommen hast.«
Mrs. Lane war eine Frau mit Einfluss und hatte Freunde in nützlichen Positionen, und sie wusste aus einem Dutzend verschiedener Quellen ganz genau, was Emily McVeagh sich vorgenommen hatte.
Das Mädchen hatte sich gegen ihren Vater aufgelehnt und gesagt, nein, sie werde keineswegs studieren, sie wolle Krankenschwester werden.
Sie wird eine Dienstmagd unter Dienstmägden sein, hatte Mrs. Lane sich gesagt, denn die Entscheidung des Mädchens schockierte sie.
Sie kannte John McVeagh gut, sie kannte die ganze Familie und hatte Emilys Triumphe während ihrer Schulzeit mit Bewunderung und mit einem Anflug von Bedauern verfolgt, denn ihre Tochter war nicht so klug und weniger zupackend und energisch. Die Mädchen waren befreundet, und die Leute hatten schon immer über das ungleiche Paar gestaunt. Die eine war zurückhaltend, leicht zu übersehen und offenkundig zerbrechlich, aber die andere hatte sich und die Lage jederzeit im Griff, war überall die Erste, war Schulsprecherin und heimste alle Preise ein: Emily McVeagh, die Freundin und Verteidigerin der kleinen Daisy.
»Ich weiß, dass ich es schaffen kann«, sagte Emily ruhig.
Aber warum, warum nur?, hätte Mrs. Lane gern gefragt und hätte es fast auch getan - doch da kam der junge Mann, der gerade Applaus bekommen hatte, auf sie zu, und sie reckte sich, gab ihm einen Kuss und sagte: »Gut gemacht. Wirklich gut gemacht.«
Das Ganze hatte eine kleine Vorgeschichte.
Der junge Mann nahm von Daisy eine Tasse Tee und ein großes Stück Kuchen entgegen und setzte sich zu seiner Freundin Mrs. Lane. Sie kannte ihn schon sein ganzes Leben.
Er hatte noch einen Bruder, und die Mutter betete Harry an, den älteren. Es war bekannt, dass sie unzufrieden war. Ihr Mann, der Vater der Jungen, war Bankangestellter, hasste seinen Beruf und verbrachte jeden freien Moment in der Kirche, wo er Orgel spielte. Anstatt sich Mühe zu geben und »voranzukommen«, wie sie es offenbar erwartete. Dem Vater fehlte jeglicher Ehrgeiz, doch dem älteren Sohn wurde schon eine Stelle angeboten, als er noch zur Schule ging, was keineswegs selbstverständlich war. Er war immer der kluge Junge gewesen, hatte seine Prüfungen mühelos bestanden und Preise gewonnen. Aber den zweiten Sohn, Alfred, hatte die Mutter nie gemocht, zumindest ließ ihr Verhalten darauf schließen.
Wenn man Kinder schlug, hieß das seinerzeit nur, dass man den Willen Gottes befolgte: »Wer die Rute spart, verzieht das Kind.« Doch wenn Mrs. Lane dergleichen beobachtete, war sie schockiert. Auch sie war mit einem Bankangestellten verheiratet, der eine leitende Position innehatte, und ihr Mann war eine Säule der Kirche und beteiligte sich am Gemeindeleben. Dass Alfred mit seiner Mutter so ein Pech hatte, war allgemein bekannt; es wurde darüber gesprochen, und manche Leute, die Mitleid mit ihm hatten, waren besonders nachsichtig und begegneten ihm mit großem Wohlwollen. Die Schule interessierte ihn zwar nicht, aber er war ein sehr guter Sportler, besonders im Kricket. Vor ungefähr einer Woche war er sechzehn geworden und eigentlich noch zu jung, um bei den Männern mitzuspielen. Aber er war dabei, und wenn Mrs. Lane sich ins Zeug gelegt hatte, um einflussreiche Leute davon zu überzeugen, dass er die Möglichkeit bekommen sollte, sich zu profilieren, dann musste das ja niemand erfahren. Alfreds Mutter saß bei den Zuschauern, aber es schien ihr unangenehm zu sein, wenn ihr jemand zu ihrem brillanten Sohn gratulierte, denn sie fand offenbar, dass nur der andere Sohn gelobt werden sollte.
Nun hatte Alfred die Möglichkeit, sich und sein Können zu beweisen, und Mrs. Lane war sehr zufrieden mit sich selbst und mit ihm. Sie hatte schon oft gesagt, sie liebe den Jungen wie ihren Sohn, und sie wünsc...
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19 cm; kart. Condizione: Sehr gut. Genehmigte Taschenbuchausg., 1. Aufl. 300 S. In gutem Zustand 26842 ISBN 9783442739714 Sprache: Deutsch Gewicht in Gramm: 281. Codice articolo 7009858
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